Massnahmen von Unternehmen als Antwort auf den demografischen Wandel
Bettina Schaller leitet die Public Affairs-Aktivitäten und ist Vorsitzende des Responsible AI Committee der Adecco Group. Sie trat im März 2010 der Gruppe und der privaten Arbeitsvermittlungsbranche bei. Ausserdem ist sie Präsidentin der World Employment Confederation und stellvertretende Vorsitzende des Business@OECD Employment, Labour and Social Affairs Committee, Co-Vorsitzende der B20 Task Force zur Zukunft der Arbeit und Bildung, Mitglied des B20 International Business Advocacy Caucus sowie Mitglied der Steering Group des «Center for New Economy and Society» des Weltwirtschaftsforums und der Steering Group des Global Apprenticeship Network. Bettina Schaller wurde 2011 als Young Leader der American Swiss Foundation ausgezeichnet und ist Mitglied des Vorstands der ASF. Zudem ist sie Mitglied des Advisory Boards der Asia Society Switzerland und des Advisory Boards des «Geneva Center for Science and Diplomacy».
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swissVR Monitor: Sie die Auswirkungen des demografischen Wandels auf den Schweizer Arbeitsmarkt besonders gut einschätzen. Welche Entwicklungen und Herausforderungen sehen Sie diesbezüglich bereits heute?
Bettina Schaller: Der demografische Wandel zeigt bereits heute deutliche Auswirkungen auf den Schweizer Arbeitsmarkt. Eine der grössten Herausforderungen ist die Alterung der Bevölkerung, die durch den Renteneintritt der Babyboomer eine wachsende Lücke an qualifizierten Arbeitskräften verursacht. Gleichzeitig führen sinkende Geburtenraten und gesellschaftliche Veränderungen dazu, dass immer weniger junge Menschen in den Arbeitsmarkt eintreten. Diese Entwicklungen werden zwar kurzfristig durch eine schwächere Konjunktur abgemildert, lösen das Grundproblem jedoch nicht. Strukturelle Anpassungen, etwa die Förderung von Familien und eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben, bleiben essenziell. Neben der Alterung der Bevölkerung spielen auch veränderte Erwartungen junger Generationen an Arbeitskultur und Werte eine Rolle. Themen wie Nachhaltigkeit, Sinnhaftigkeit der Arbeit und Work-Life-Balance gewinnen an Bedeutung und beeinflussen die Attraktivität von Unternehmen. Zudem wird die Schweizer Wirtschaft weiterhin auf ein gewisses Mass an Zuwanderung angewiesen sein. Allerdings dürfte es künftig schwieriger sein, Fachkräfte aus Europa zu rekrutieren, da unsere Nachbarstaaten ebenfalls mit einem Fachkräftemangel konfrontiert sind.
swissVR Monitor: Welche sind Ihrer Meinung nach die wichtigsten Veränderungen des Arbeitsmarkts in der Schweiz, die wir in den kommenden Jahren aufgrund des demografischen Wandels sehen werden?
Bettina Schaller: In den kommenden Jahren wird sich der Arbeitsmarkt weiter in Richtung flexibler Arbeitsmodelle entwickeln, um den Bedürfnissen einer älter werdenden Belegschaft gerecht zu werden. Dazu gehören Massnahmen wie Homeoffice, Teilzeitarbeit, ein flexibles Rentenalter und die Möglichkeit von Bogenkarrieren. Gleichzeitig wird die Nachfrage nach Technologien und Automatisierung weiter steigen, um Produktivitätsverluste durch wegfallende Arbeitskräfte zu kompensieren. Hinzu kommt, dass eine alternde Bevölkerung auch nachfragebedingte Änderungen auf dem Arbeitsmarkt bewirken kann. So konsumiert eine ältere Bevölkerung andere Produkte und Dienstleistungen – beispielsweise wird die Nachfrage nach Gesundheitsfachkräften steigen.
swissVR Monitor: Unsere Befragung unter Verwaltungsratsmitgliedern zeigt, dass die meisten Unternehmen als Antwort auf den demografischen Wandel ihre Arbeitsmodelle flexibilisieren (z. B. durch Homeoffice, Teilzeit, flexibles Rentenalter). Wie schätzen Sie die Wirksamkeit dieser Massnahme vor dem Hintergrund der beschriebenen Herausforderungen ein?
Bettina Schaller: Die Flexibilisierung der Arbeitsmodelle ist ein wichtiger Schritt, um den demografischen Wandel zu bewältigen. Sie ermöglicht es Unternehmen, die Arbeitszufriedenheit und Produktivität ihrer Mitarbeitenden zu erhöhen, was sich positiv auf die Mitarbeiterbindung auswirkt. Allerdings reicht diese Massnahme allein nicht aus. Sie sollte durch weitere Initiativen ergänzt werden, die allgemein bekannt sind. Es handelt sich dabei um den Ausbau von Betreuungsangeboten, die Förderung von Familienfreundlichkeit, den Abbau von Altersdiskriminierung und die aktive Integration von ausländischen Fachkräften. Neu werden wir uns auch damit befassen müssen, wie «Agenten» unsere Arbeit beeinflussen werden. Um dies abzuschätzen, ist es jedoch Anfang 2025 zu früh. Ein ganzheitlicher Ansatz ist entscheidend, um langfristig erfolgreich zu sein.
swissVR Monitor: Ebenfalls die Mehrheit der befragten Verwaltungsratsmitglieder gibt an, dass ihr Unternehmen die eigene Produktivität durch den Einsatz von Technologie und Automatisierung erhöht hat, um wegfallende Arbeitskräfte auszugleichen. Welche Rolle kommt Technologien wie beispielsweise der künstlichen Intelligenz im Zusammenhang mit dem demografischen Wandel zu?
Bettina Schaller: Künstliche Intelligenz (KI) – und wir sollten uns schon mit dem Aufkommen von «Agenten» auseinandersetzen – spielt eine zentrale Rolle bei der Bewältigung der Herausforderungen des demografischen Wandels. Sie ermöglicht es, Prozesse zu automatisieren und somit Tätigkeiten von Arbeitskräften zu ersetzen, die in Pension gehen. Des Weiteren ermöglicht KI, die Effizienz (und somit die Produktivität) der Arbeitskräfte zu steigern und neue Geschäftsfelder zu erschliessen. Allerdings ist es essenziell, ein harmonisches Zusammenspiel von Mensch und Maschine zu gewährleisten. Besonders ältere Mitarbeitende sollten durch gezielte Massnahmen befähigt werden, die Vorteile von KI zu verstehen und sie effektiv einzusetzen. Transparenz und Schulungen sind hierbei entscheidend, um das Vertrauen in diese Technologien zu stärken und sicherzustellen, dass der Mensch stets die Kontrolle behält. Wichtig ist auch, dass bei zentralen Prozessen – zum Beispiel bei einer Stellenbesetzung – die KI nur unterstützend zur Anwendung kommt und stets ein Mensch den abschliessenden Entscheid fällt. Unternehmen müssen sicherstellen, dass durch die Technologie, die sie verwenden, keine Menschen zu Schaden kommen oder diskriminiert werden. Es geht um ein ideales Zusammenspiel von Mensch und Maschine. Die Bedingung des «human in the loop» ist übrigens auch im EU AI Act verankert, welcher über die Personalbranche hinaus die ersten Massstäbe vorgibt, welche in Bezug auf KI gelten sollen.
swissVR Monitor: Welche weiteren Massnahmen erachten Sie als essenziell, damit Unternehmen die Auswirkungen des demografischen Wandels erfolgreich bewältigen?
Bettina Schaller: Ich warte darauf, dass der «Longevity» Trend sich auch in Projekten von Unternehmen bemerkbar macht. Im Moment sehen wir in der Schweiz, dass insbesondere KMUs klassisch bewährte Massnahmen weiterführen, um ihre alternden Arbeitnehmer gesund, motiviert und produktiv einsetzen zu können, während sie die jüngeren Generationen anziehen. Dank des Schweizer Lehrstellensystems gibt es schon seit langem zum Teil 4 Generationen in einem Arbeitsort, was auch aus Sicht der Unternehmens- und Führungskultur einen Einfluss hat. Neben der Flexibilisierung von Arbeitsmodellen und dem Einsatz von Technologien sind kontinuierliches Lernen und die gezielte Weiterbildung von Mitarbeitenden unerlässlich. Lebenslanges Lernen hilft, die Fähigkeiten der Arbeitskräfte an die sich wandelnden Anforderungen des Arbeitsmarktes anzupassen. Zudem sollte eine inklusive Unternehmenskultur gefördert werden, die Vielfalt und Chancengleichheit aktiv unterstützt. Eine weitere Schlüsselmassnahme ist die Zusammenarbeit mit Bildungseinrichtungen, um künftige Talente frühzeitig zu identifizieren und zu fördern. Zudem werden wir nicht darum herumkommen, auch künftig auf ein gewisses Mass an Zuwanderung zu setzen. Letztlich bedarf es eines integrierten Ansatzes, der Unternehmen, Mitarbeitende und Politik gleichermassen einbindet.