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Geschlechterquoten: Differenzierung durch Vielfalt

Die Unternehmen müssen die neuen gesetzlichen Gleichstellungsquoten als Chance nutzen, um die besten Talente anzuziehen. Die Zeit für halbherzige Massnahmen ist vorbei.

Von Liza Engel, Chief People Officer und Mitglied der Geschäftsleitung

Wir sind gespannt: Welches der 20 wertvollsten Unternehmen der Schweiz, die den Swiss Market Index (SMI) bilden, wird das erste sein, das von einer Frau geführt wird? Wenn es um die gerechte Vertretung von Frauen in der Wirtschaft geht, habe ich viele Versprechungen gehört und viele verschiedene Initiativen kommen und gehen sehen, aber der Fortschritt hat sich weiterhin in einem eisigen Tempo bewegt. Fast allen in den Schweizer Vorstandsetagen ist klar, dass eine grössere Vielfalt - d.h. ein breites Spektrum von Menschen unterschiedlichen Geschlechts und Alters, aber auch unterschiedlicher Herkunft, Sprache, Religion und sexueller Orientierung - die wichtigste gesellschaftspolitische Priorität der Stunde ist. Der deutliche Anstieg des Frauenanteils bei den jüngsten Parlamentswahlen und der machtvolle Frauenstreik haben deutlich gemacht, dass es an der Zeit ist, die Gleichberechtigung auch in den Chefetagen zu fördern.

Weit verbreitete Akzeptanz

 

Abgesehen von ein paar Dinosauriern hat fast jeder erkannt, dass eine vielfältige Belegschaft zu besseren Ergebnissen führt und langfristig Umsatz und Gewinn steigern kann - vorausgesetzt, die Mitarbeiter sind sensibel für Unterschiede und arbeiten respektvoll zusammen. Ein gerechteres Gleichgewicht zwischen den Geschlechtern in Führungspositionen hilft nicht nur den einzelnen Unternehmen und Betrieben als Ganzes, sondern bringt auch die Gesellschaft im Allgemeinen voran.


Die Reform des Gesellschaftsrechts hat in der Sommersitzung des Parlaments die Schlussabstimmung passiert, so dass die Vorschriften am 1. Januar 2021 in Kraft treten. Eine Politik, die vor 20 Jahren von linken Politikern als radikale Forderung verschrien wurde, wird nun in Schweizer Unternehmen Realität: die Geschlechterquoten. Für Aufsichtsräte und Vorstände von börsennotierten Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitern werden Quoten für die Geschlechtervielfalt eingeführt.

Nachgeben oder schämen?

 

Frauen und Männer müssen jeweils mindestens 30 % der Mitglieder des Verwaltungsrats und 20 % der Mitglieder der Geschäftsleitung stellen. Diese neue Regelung betrifft zwischen 200 und 250 Unternehmen in der Schweiz. Es werden zwar keine harten Strafen verhängt, aber die Unternehmen müssen in ihren Vergütungsberichten öffentlich darlegen, warum sie die Ziele verfehlen und welche Massnahmen sie ergreifen, um das Gleichgewicht wiederherzustellen.


Dieser "comply or explain"-Ansatz lässt den Unternehmen jedoch einen gewissen Spielraum. Ein männlicher Bewerber könnte immer noch eingestellt werden, auch wenn ein Unternehmen die Geschlechterquote noch nicht erfüllt. Es kann also nicht behauptet werden, dass Männer diskriminiert werden, wie verschiedene Kritiker behauptet hatten. Dieses Risiko scheint mir ziemlich gering zu sein. Meiner Meinung nach ist es wahrscheinlicher, dass Schweizer Unternehmen an den Pranger gestellt werden, wenn sie die Benchmarks auch in fünf oder gar zehn Jahren nicht erfüllen.

Das Rennen ist eröffnet: Wann wird die erste Frau CEO eines SMI-Unternehmens?

 

Liza Engel, Leiterin der Personalabteilung

SMI-Unternehmen mit ausschliesslich männlichen Vorständen

 

Wo stehen wir derzeit bei der Vertretung von Frauen in Verwaltungsräten und Vorständen? Ein kurzer Blick auf die 20 grössten börsennotierten Schweizer Unternehmen zeigt nachdrücklich, dass es einen grossen Nachholbedarf gibt: Die Hälfte der SMI-Unternehmen hat derzeit eine angemessene Anzahl von Frauen in ihren Verwaltungsräten. Zurich ist hier mit 45% führend, während SGS mit 10% das Schlusslicht bildet. Die familiengeführte Swatch Group ist das einzige Unternehmen mit einer Präsidentin, Nayla Hayek.


Bei den Vorständen der SMI-Unternehmen ist das Bild noch viel düsterer: Nur Roche, Novartis, ABB, Zurich, CS, Lonza und LafargeHolcim erfüllen die neuen Anforderungen bereits. Sieben Unternehmen - nämlich Richemont, Sika, Geberit, SGS, Alcon, Swisscom und Swiss Life - haben immer noch keine weibliche Vertretung in ihren Vorständen. Und ein weiblicher CEO ist nirgends zu finden (Stand: 31. Oktober 2020). Wie Sie sehen, wird es eine Menge Arbeit erfordern, die Quoten zu erfüllen. Wir können es uns nicht leisten, eine weitere Generation darauf zu warten, dass Frauen sich langsam ihren Weg in die oberen Ränge der Unternehmen bahnen.


Beratungsunternehmen wie Deloitte sind von diesen Herausforderungen besonders betroffen, da die Kunden zunehmend auf Vielfalt in ihren Beraterteams bestehen. Frauen sind jedoch von Anfang an Mangelware: Es bewerben sich viel mehr Männer bei uns, wir stellen immer noch mehr Männer als Frauen ein, und derzeit sind nur 39 % unserer Mitarbeiter weiblich. Dennoch stellen Frauen genau ein Drittel des Vorstands (Stand: 31. Oktober 2020), und im letzten Jahr war die Zahl noch höher. Und wie haben wir das geschafft?

Es wird nicht einfach sein

 

Viele Beratungsunternehmen setzen sich für einen kulturellen Wandel ein, um für Frauen attraktiver zu werden, aber das geschieht oft noch eher halbherzig. Umgekehrt schreiben wir Stellen in der Regel mit 80 bis 100 % der Vollzeitstunden aus. Ausserdem haben wir schon vor Jahren umfassende familienfreundliche Arbeitsbedingungen eingeführt, zu einer Zeit, als ein mehrwöchiger Vaterschaftsurlaub noch ein Wunschtraum zu sein schien.


Es ist absolut notwendig, dass das Management gemeinsam eine Vision entwickelt, geschlossen auftritt und deren Umsetzung gemeinsam vorantreibt. Jede einzelne Führungskraft ist nicht nur dafür verantwortlich, sich für die Gleichstellung einzusetzen, sondern auch dafür, ihr eigenes tägliches Handeln in dieser Hinsicht zu überdenken und anzupassen. Unternehmen sollten auch nicht davor zurückschrecken, bei der Festlegung von Boni Kriterien der Vielfalt zu berücksichtigen.

Massnahmen zur Bekämpfung von Vorurteilen

 

Neben der Rekrutierung und Beförderung müssen auch alltägliche Aktivitäten wie die Besetzung von Projektrollen und die Auswahl von Teammitgliedern für Kundenaufträge hinterfragt werden: Werden tatsächlich die fähigsten Leute ausgewählt und zeigen wir aktiv Vielfalt nach aussen, oder geben wir alte Vorurteile weiter?


Wir müssen auf verschiedenen Ebenen Massnahmen ergreifen, um bekannte kognitive Voreingenommenheiten wie Gruppendenken, Vertrautheitsvoreingenommenheit, feste Meinungen und Stereotypisierung zu bekämpfen. Obligatorische Schulungen und Sensibilisierungsmassnahmen können hier hilfreich sein. Ich glaube jedoch, dass klare Massnahmen in Verbindung mit allen wichtigen HR-Prozessen wichtiger sind.


Bei Nominierungen für Beförderungen zum Beispiel neigt die grosse Mehrheit der Menschen dazu, Kandidaten zu bevorzugen, die ihnen selbst ähnlich sind. Wir bei Deloitte haben daher vor einigen Jahren einen mehrstufigen Prozess eingeführt, bei dem wir die Geschlechterzahlen in jedem Bereich mit dem Mix in der gesamten Belegschaft vergleichen. Dieses Verfahren ermöglicht es uns, Abweichungen festzustellen und sie mit den betreffenden Teamleitern zu besprechen. Es ist erwiesen, dass es einen Selbstkontroll-Effekt gibt, wenn ein Gremium darauf aufmerksam gemacht wird, dass seine Entscheidungen auf geschlechtsspezifische Voreingenommenheit geprüft werden.

Die besten Frauen im Team

 

Es wird mehr als zwei oder drei Jahre dauern, bis die SMI-Unternehmen den Rückstand aufgeholt haben, der zur Erfüllung der neuen Schweizer Geschlechterquoten erforderlich ist. Durch die konsequente Ausrichtung der Geschäftsprozesse auf Diversity-Ziele und gezielte Eingriffe in relevante Entscheidungsprozesse sollte sich das Verhalten der Mitarbeiter jedoch auf vorhersehbare Weise beeinflussen lassen, um schnell messbare Erfolge zu erzielen.


Unternehmen können so nicht nur kritische Medienberichte und das Image einer veralteten Unternehmenskultur vermeiden. Mit glaubwürdigen Massnahmen und einer aktiven Positionierung auf dem Arbeitgebermarkt können sie sich auch langfristig Vorteile verschaffen und genau die kreativen jungen Frauen und Männer anziehen, die den für die nachhaltige Entwicklung des Unternehmens dringend benötigten Schwung mitbringen. Das wird heute mehr denn je benötigt.


Angesichts des zunehmenden Fachkräftemangels und der Überalterung der Bevölkerung wird es immer schwieriger, solche hochqualifizierten Mitarbeiter zu finden. Das Rennen ist in vollem Gange: Wann wird die erste Frau CEO eines SMI-Unternehmens? Und welches Unternehmen wird diesen Meilenstein als unvergleichlichen Vorteil in seinen Stellenanzeigen nutzen können? Platzieren Sie jetzt Ihre Wetten!

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