In Österreich sind viele Unternehmen in unterschiedlichsten Branchen und Größen mit einem negativen Eigenkapital konfrontiert. Rund zwölf Prozent der Kapitalgesellschaften, die seit mehr als acht Jahren durchgängig aktiv sind, wiesen bereits vor der Corona Pandemie seit mindestens drei Jahren ein durchgängig negatives Eigenkapital auf. Es ist davon auszugehen, dass die Zahl der Unternehmen mit negativem Eigenkapital seither gestiegen ist und in den kommenden Jahren weiter ansteigen wird. Insbesondere die Branche Beherbergung & Gastronomie weist einen überdurchschnittlich hohen Anteil an Unternehmen mit einem negativen Eigenkapital auf. Im nachfolgenden Artikel erläutern wir, wann ein negatives Eigenkapital vorliegt, was es zu beachten gibt und welche Folgen damit verbunden sind.
Das Eigenkapital ist als erste Position auf der Passivseite in der Bilanz auszuweisen und ergibt sich aus der Saldierung der Vermögensgegenstände (Aktiva) und Schulden bzw. Fremdkapital (Passiva). Zum Eigenkapital gehören das Stammkapital, die Kapitalrücklagen, die Gewinnrücklagen sowie der Bilanzgewinn/- verlust. Ist das Eigenkapital durch Verluste aufgebraucht und übersteigt der Buchwert aller Schulden den Buchwert aller Vermögensgegenstände, ist der überschreitende Betrag auf der Passivseite mit einem negativen Vorzeichen unter der Bezeichnung „negatives Eigenkapital“ zu erfassen. Bei einem negativen Eigenkapital liegt somit eine buchmäßige Überschuldung vor.
Die buchmäßige Überschuldung ist aber nicht mit der insolvenzrechtlichen Überschuldung gleichzusetzen, weshalb nicht zwingend damit einhergehend ein Insolvenzgrund vorliegen muss. Bei einer buchmäßigen Überschuldung muss zwingend im Anhang zur Bilanz erläutert werden, ob auch eine Überschuldung im Sinne des Insolvenzrechts vorliegt bzw. warum diese eben nicht vorliegt. Es besteht ein Haftungsrisiko, wenn keine oder nicht geeignete Mittel zur Vermeidung der insolvenzrechtlichen Überschuldung getroffen werden oder eine fehlerhafte Darstellung im Anhang erfolgt. Die fehlerhafte Darstellung kann insbesondere zur Haftung gegenüber Gläubigern führen, da die Angaben im Anhang dem Gläubigerschutz dienen und ein möglichst getreues Bild von der wirtschaftlichen Lage des Unternehmens darstellen sollen.
Die Insolvenzordnung enthält keine eigenständige Definition der insolvenzrechtlichen Überschuldung. In der Literatur und Rechtsprechung hat sich eine zweistufige Prüfung entwickelt. Hierbei ist der Status zu Liquidationswerten und/oder eine Fortbestehensprognose zu erstellen. Für das Vorliegen einer insolvenzrechtlichen Überschuldung muss sowohl der Status zu Liquidationswerten negativ sein als auch keine positive Fortbestehensprognose gegeben sein. Bei der Erstellung des Status zu Liquidationswerten ist, abweichend von der Erstellung des Jahresabschlusses, nicht von der Fortführung des Unternehmens auszugehen. Es sind daher die stillen Reserven und stille Lasten aufzudecken. Unter stillen Reserven bzw. Lasten versteht man Eigenkapital, welches in der Bilanz nicht abgebildet ist. Ein Beispiel für stille Reserven ist eine Immobilie, deren tatsächlicher (Verkehrs-) Wert den niedrigeren Buchwert in der Bilanz übersteigt. Übersteigen die Vermögensgegenstände zu Liquidationswerten die Schulden zu Liquidationswerten, liegt keine rechnerische Überschuldung vor. Beim Vorliegen einer rechnerischen Überschuldung hat die Erstellung einer Fortbestehensprognose zu erfolgen. Die Fortbestehensprognose ist aufzugliedern in eine „Primärprognose“, die die voraussichtliche Erhaltung der Zahlungsfähigkeit für einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten bis zu einem Jahr abbildet und eine „Sekundärprognose“, die eine längerfristige positive Entwicklung beinhaltet. Eine positive Fortbestehensprognose hat darzulegen, dass das Unternehmen unter Einhaltung seiner Zahlungsverpflichtungen fortgeführt werden kann. Damit wird der Tatsache Rechnung getragen, dass eine Überschuldung lediglich vorübergehend vorliegen kann. Die Fortbestehensprognose basiert auf der Analyse der Verlustursachen, des Finanzplans und der Zukunftsaussichten des Unternehmens.
Bei der Überprüfung der rechnerischen Überschuldung sind Eigenkapitalersatzleistungen (z.B. Gesellschafterdarlehen) nicht zu berücksichtigen. Im Eigenkapitalersatzgesetz (EKEG) ist geregelt, dass ein Gesellschafterdarlehen, welches in der Krise gewährt wird, Eigenkapital ersetzend ist. Diese Darlehen können nicht zurückgefordert werden, solange sich die Gesellschaft in der Krise befindet.
Liegt sowohl eine rechnerische Überschuldung als auch eine negative Fortbestehensprognose vor, sind die Voraussetzungen für eine insolvenzrechtliche Überschuldung erfüllt. Das Unternehmen muss spätestens 60 Tage nach Eintritt der Überschuldung die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens bei Gericht beantragen. Bei einer GmbH muss der Antrag durch den:die Geschäftsführer:in erfolgen. Wird der Antrag nicht rechtzeitig gestellt, kann das eine Haftung bzw. strafrechtliche Verfolgung des:der Geschäftsführer:in nach sich ziehen. Die Feststellung des Zeitpunktes des Eintritts der Überschuldung und damit einhergehend der Beginn der 60 Tage Frist ist in derPraxis oft mit Schwierigkeiten verbunden. Liegt eine buchmäßige Überschuldung vor, kann diese auch durch Erklärungen von Dritten abgewendet werden. Diesbezüglich kommen neben Eigenkapitaleinzahlungen (z.B. Gesellschafterzuschuss) auch Finanzierungszusagen wie Patronatserklärungen oder Rangrücktrittserklärungen von bestehenden Gläubigern in Frage. Unter Patronatserklärungen versteht man Erklärungen, in denen die erklärende Person (“Patron”) in verbindlicher Form Leistungen oder auch nur Bemühungen oder die Aufrechterhaltung eines bestehenden Zustands zusagt. Um eine Überschuldung zu beseitigen, hat die Erklärung bestimmte Kriterien zu erfüllen und ist richtig auszugestalten. Es muss eine sogenannte harte Patronatserklärung vorliegen: Eine rechtlich durchsetzbare Verpflichtung, der Gesellschaft ausreichend finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen, sodass die Gesellschaft ihre Schulden bedienen kann. Die Erklärung muss unwiderruflich, unbefristet und unbedingt sein. Darüber hinaus muss die Erklärung werthaltig sein, dies bedeutet, dass der Patron finanziell so ausgestattet ist, dass die Verpflichtung auch tatsächlich erfüllt werden kann. In der Praxis wird oft betreffend einer konkreten Verbindlichkeit, beispielsweise einer Kreditverbindlichkeit gegenüber einer Bank, eine Patronatserklärung abgegeben.
Bei der Rangrücktrittserklärung erklärt ein Gläubiger, dass er seine Forderung erst nach der Befriedigung der übrigen Gläubiger geltend macht. Um die insolvenzrechtliche Überschuldung zu verhindern, muss die Erklärung umfassen, dass die Befriedigung erst nach der Beseitigung eines negativen Eigenkapitals erfolgt und aufgrund der Forderung kein Insolvenzverfahren zu eröffnen ist.
Betreffend der Erläuterungspflicht im Anhang bei negativem Eigenkapital ist es nicht ausreichend allgemein festzustellen, dass keine insolvenzrechtliche Überschuldung vorliegt. Es sind umfassende Erläuterungen zu stillen Reserven, Gesellschafterzuschüssen, Rangrücktrittserklärungen, Forderungsverzichten und Patronatserklärungen aufzunehmen. Wenn ein Vermögensstatus erstellt wird, sind auch betragsmäßige Angaben der zu Liquidationswerten ermittelten Aktiva und Passiva sowie der getroffenen Annahmen erforderlich. Die Angaben im Anhang zum negativen Eigenkapital sind für alle Kapitalgesellschaften verpflichtend und beim Firmenbuchgericht offenzulegen. Diese Verpflichtung betrifft auch Kleinstkapitalgesellschaften, die grundsätzlich keinen Anhang aufstellen und beim Firmenbuchgericht offenlegen müssen. Bei nicht korrekten Angaben zur insolvenzrechtlichen Überschuldung wird eine Pflichtverletzung begangen. Diese kann in weiterer Folge zur Haftung des Geschäftsführers im Innenverhältnis gegenüber der Gesellschaft und im Außenverhältnis gegenüber Gläubigern führen. Zudem können dadurch gegebenenfalls Straftatbestände erfüllt sein. Der aus der Fortführung des Unternehmens resultierende Schaden ist von dem:der Geschäftsführer:in zu ersetzen.
In diesem Zusammenhang ist auch die gesetzliche Verpflichtung des Geschäftsführers einer GmbH zu nennen, eine Generalversammlung ohne Verzug einzuberufen, wenn die URG-Kennzahlen (Eigenmittelquote weniger als 8% und fiktive Schuldentilgungsdauer mehr als 15 Jahre) erfüllt sind oder die Hälfte des Stammkapitals verloren gegangen ist. Um feststellen zu können, ob eine Einberufungspflicht besteht, müssen die Kennzahlen auf Basis des Jahresabschlusses berechnet werden. Für die Frage des Verlusts der Hälfte des Stammkapitals ist zu prüfen, ob das Vermögen der Gesellschaft noch die Hälfte des Stammkapitals deckt.
In der Praxis kommt negatives Eigenkapital häufig vor. Wie oben dargelegt, muss damit nicht zwingend ein Insolvenzgrund verbunden sein. Bei Vorliegen eines negativen Eigenkapitales besteht jedenfalls Handlungsbedarf. Aufgrund der weitreichenden Folgen und des Haftungspotentiales ist es ratsam, dieses Thema eingehend mit Ihrem Berater zu besprechen.