Gemäß dem Entwurf der Europäischen Kommission soll die Anti Tax Avoidance Directive (kurz „ATAD“), die Richtlinie zur Verhinderung internationaler Steuervermeidung, neuerlich eine Ergänzung erfahren. Unter der Bezeichnung „Unshell-Richtlinie“ soll die ATAD geändert und Missbrauch durch die Verwendung von Briefkastengesellschaften („shell entities“) in der EU unterbunden werden.
Unter dem Begriff „Briefkastenfirma“ sind Gesellschaften zu verstehen, die keine oder nur eine minimale Wirtschaftstätigkeit aufweisen. Briefkastengesellschaften werden im Rahmen aggressiver internationaler Steuerplanung eingesetzt, um Zahlungsströme in Jurisdiktionen zu lenken, in denen keine oder nur sehr niedrige Steuern eingehoben werden. Somit wird jenen Staaten, in denen die tatsächliche wirtschaftliche Tätigkeit ausgeübt wird, Steuersubstrat entzogen. Durch die vorgeschlagenen Maßnahmen soll mehr Transparenz erreicht werden, sodass nationale Steuerbehörden derartige Gesellschaften bzw Strukturen leichter entdecken und im Falle von Missbrauch Steuervorteile versagen können.
Grundsätzlich sind alle in der EU ansässigen Unternehmen gemäß dem Entwurf einem zweistufigen Substanztest zu unterziehen. Bestimmte Gruppen von Unternehmen, bei denen das Risiko für Missbrauch als gering eingestuft wird, sind jedoch vom Anwendungsbereich der Bestimmungen ausgenommen. Es handelt sich dabei unter anderem um börsennotierte Unternehmen, Finanzunternehmen, welche besonderen Rechtsvorschriften unterliegen, sowie um Holdinggesellschaften, wenn im selben Mitgliedstaat operative Tochtergesellschaften oder deren Anteilseigner:innen ansässig sind.
Der erste Prüfungsschritt befasst sich mit den drei sogenannten „Gateways“:
Sind diese drei Gateways kumulativ erfüllt, besteht ein erhöhts Risiko im Sinne der Richtlinie und das Unternehmen hat bestimmte Meldepflichten im Rahmen seiner Steuererklärung (zweiter Prüfungsschritt) zu erfüllen. Es hat folglich nachzuweisen, dass es im Mitgliedstaat über Geschäftsräumlichkeiten verfügt, zumindest ein aktives Bankkonto innerhalb der EU und ein aktives eigenes Management bzw eigene Arbeitnehmer:innen, die in der Nähe des Unternehmens ansässig sind, hat. Können diese Nachweise nicht erbracht werden, besteht die widerlegbare Vermutung, dass eine Briefkastenfirma vorliegt. Die Vermutung kann durch die Vorlage weiterer Beweismittel widerlegt werden und gilt dann für ein Jahr (mit Verlängerungsmöglichkeit auf fünf Jahre).
Kann auch durch weitere Beweise nicht widerlegt werden, dass es sich um eine Briefkastengesellschaft handelt, werden der Gesellschaft bestimmte steuerliche Vorteile, wie beispielsweise DBA-Vorteile und Quellensteuerbefreiungen aufgrund von EU-Richtlinien versagt. Überdies wird das Einkommen der Briefkastenfirma auf Ebene der Gesellschafter:innen besteuert, auch wenn es sich dabei um natürliche Personen handelt. Zudem kann die Ausstellung von Ansässigkeitsbescheinigungen gänzlich verwehrt oder nur mit dem Vermerk, dass es sich um ein substanzloses Unternehmen handelt, vorgenommen werden.
Mit dem vorliegenden Richtlinienentwurf soll der Kampf gegen Steuervermeidung mittels Briefkastengesellschaften in den EU-Mitgliedstaaten harmonisiert werden. Die Vorschriften sollen nach Einigung der Mitgliedstaaten ab dem 1.1.2024 gelten. Die erforderliche Substanzprüfung nimmt jedoch teilweise schon auf die Jahre 2022 und 2023 Bezug. Um die Vermutung des Vorliegens einer Briefkastenfirma widerlegen zu können, kann es daher bereits jetzt geboten sein, auf eine entsprechende Dokumentation zu achten.