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Kein „Gratiskredit“ wegen verbraucherrechtswidriger Formulierung

Eine verbraucherrechtswidrige Formulierung führt nicht immer zur Unzulässigkeit einer Klausel – es kommt auf den tatsächlichen Geschäftswillen an, selbst wenn sich dieser nicht im Vertragstext niedergeschlagen hat

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Überblick

In letzter Zeit haben höchstgerichtliche Entscheidungen zu verbraucherrechtswidrig formulierten Vertragsklauseln in Mietverträgen (insbesondere zur Wertsicherung des Mietzinses) für Verunsicherung gesorgt. Eine aktuelle Entscheidung des OGH beschäftigt sich nun ua mit der Zinsgleitklausel in einem Kreditvertrag.

Der OGH stellte mit dieser Entscheidung klar, dass es im Rahmen der Auslegung einer verbraucherrechtswidrig formulierten Klausel nicht nur auf den bloßen Wortlaut, sondern auf den tatsächlichen Geschäftswillen der Parteien ankommt. In diesem Zusammenhang kommt dem tatsächlichen Verhalten der Parteien während des Vertragsverhältnisses eine entscheidende Rolle zu. Wenn die Parteien die inkriminierte Klausel in der Praxis in einer Art und Weise handhaben, die im Einklang mit verbraucherrechtlichen Vorschriften steht, spricht das für einen natürlichen Konsens über einen entsprechenden (verbraucherrechtskonformen) Vertragsinhalt.

Sachverhalt

Im Anlassfall ging es um einen im Jahr 2002 zwischen den klagenden Verbrauchern und der beklagten Bank abgeschlossenen Fremdwährungskredit. Die beiden Kreditnehmer wollten erreichen, dass die Nichtigkeit des Vertrags – zumindest aber einiger Klauseln – festgestellt wird, um – nach Ansicht der Bank – „einen gänzlich zinsenlosen Kredit zu erwirken“.

Gestritten wurde ua über die im Vertrag enthaltene Vereinbarung, wonach der für den Kredit vereinbarte Zinssatz der Entwicklung der Refinanzierungskosten angepasst wird, wobei als Indikator für die Refinanzierungskosten die LIBOR Zinssätze für Einmonatsgelder „jeweils aufgerundet auf volle 0,125 Prozentpunkte“ herangezogen werden (Zinsgleitklausel).

Entgeltänderungsklauseln die nur eine Erhöhung – so wie in diesem Fall eine einseitige Aufrundung auf volle 0,125 Prozentpunkte – vorsehen, nicht aber auch eine entsprechende Anpassung nach unten, widersprechen dem Konsumentenschutzgesetz (KSchG) und sind grundsätzlich unwirksam. Dadurch soll eine ausgewogene Verteilung der Vor- und Nachteile gewährleistet und Regelungen allein zu Lasten des Verbrauchers ausgeschlossen werden. Die Entgeltsenkung muss deshalb im gleichen Ausmaß und in der gleichen zeitlichen Umsetzung wie eine Entgeltsteigerung erfolgen (sog Symmetriegebot).

Tatsächlich hatte die Bank jedoch ungeachtet des Wortlauts der Klausel während des Vertragsverhältnisses über zwei Jahrzehnte keine einseitige Aufrundung vorgenommen, sondern kaufmännisch gerundet. Demnach wurde abgerundet, wenn die Zahl an der ersten wegfallenden Dezimalstelle eine 0, 1, 2, 3 oder 4 war, sonst wurde aufgerundet.

 

Entscheidung des OGH

Der OGH führte dazu aus, dass den Klägern zwar insoweit zu folgen sei, dass der Wortlaut der Zinsgleitklausel den Vorwurf eines Verstoßes gegen das KSchG deckt. Bei der Auslegung von Verträgen sei „aber nicht an dem buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften, sondern die Absicht der Parteien zu erforschen und der Vertrag so zu verstehen, wie es der Übung des redlichen Verkehrs entspricht“. Es sei also nicht das, was schriftlich geäußert wurde, allein entscheidend.

Entgegen dem Standpunkt der Kläger sei es im Individualprozess – anders als im Verbandsprozess, in dem die Auslegung von Klauseln im kundenfeindlichsten Sinn zu erfolgen hat – auch nicht irrelevant, wie eine Klausel in der Praxis gehandhabt werde. Die Auslegung habe vielmehr nach den allgemein Vertragsauslegungsgrundsätzen zu erfolgen.

Wenn ein Kreditgeber ungeachtet des Wortlauts der Klausel während des Vertragsverhältnisses über mehr als zwei Jahrzehnten keine einseitige Aufrundung vorgenommen, sondern kaufmännisch gerundet hat, sei diese praktische Handhabe ein deutliches Indiz dafür, dass die Klausel nach dem beidseitigen Geschäftswillen auch schon beim Vertragsabschluss keine dem Verbraucherrecht widersprechende einseitige Aufrundung ermöglichen sollte. Es entspreche der praktischen Lebenserfahrung, dass sich ein Kreditgeber mit einer bestimmten (und für ihn im Vergleich zum Vertragstext nachteiligen) Art der Vertragserfüllung zufriedengibt, wenn sich diese mit seinem tatsächlichen Verständnis vom Vertragsinhalt und damit auch mit seinem tatsächlichen Geschäftswillen deckt. Dieses Auslegungsergebnis aufgrund der tatsächlichen Handhabe sei für die klagenden Verbraucher auch zweifelsfrei günstiger, weil es sie vor einer steten (und daher nachteiligen) Aufrundung bewahre. Dies entspreche auch dem Gemeinschaftsrecht (Klausel-RL), wonach im Zweifelsfall die für den Verbraucher günstigste Auslegung anzuwenden ist. 

Die Berücksichtigung des nachträglichen Parteiverhaltens führe im Anlassfall dazu, dass die Klausel im Sinn von kaufmännischer Rundung auszulegen sei, sodass kein Verstoß gegen das Verbraucherrecht vorliege. Zudem wäre es der Beklagten wegen des Grundsatzes des „venire contra factum proprium“ (Zuwiderhandlung gegen das eigene frühere Verhalten) verwehrt, sich nach über 20 Jahren im weiteren Vertragsverhältnis plötzlich (und missbräuchlich) auf eine einseitige Rundungsmöglichkeit im Sinn des Wortlauts der Zinsgleitklausel zu berufen.

Fazit

Der OGH stellte mit seiner Entscheidung klar, dass es im Individualprozess bei der Auslegung einer (dem Wortlaut nach) grundsätzlich gegen Verbraucherrecht verstoßenden Klausel eben nicht nur auf den bloßen Wortlaut, sondern auch das tatsächliche Verhalten der Parteien ankommt.

Dieses Ergebnis könnte durchaus eine sachgerechte Lösung für Wertsicherungsklauseln in Mietverträgen bieten, die in den ersten zwei Monaten nach Vertragsabschluss eine (verbraucherrechtswidrige)
Wertanpassung vorsahen, welche aber tatsächlich nicht erfolgte.