Überblick
In der Entscheidung Ra 2023/13/0186 vom 3.9.2024 hatte sich der VwGH mit der Frage zu befassen, ob bei einer (arbeitsbedingten) mehrjährigen Auslandsentsendung der Mittelpunkt der Lebensinteressen des Steuerpflichtigen weiterhin im Inland verbleibt oder sich dieser ins Ausland verlagert. Da die (von vornherein befristete) Entsendung vorzeitig beendet wurde, war im vorliegenden Fall neben den persönlichen und wirtschaftlichen Anknüpfungspunkten insbesondere das zeitliche Element für den VwGH von Bedeutung.
Sachverhalt
Der Beschwerdeführer (Bf) wurde von seinem österreichischen Arbeitgeber auf drei Jahre befristet (mit Option auf eine Verlängerung um zwei Jahre) in die USA entsendet. Zu diesem Zweck übersiedelte der Bf mit seiner Familie (Ehefrau, Kinder, Haustiere) in die USA, wobei die Wohnung in Österreich beibehalten wurde. Die Entsendung endete nach 1,5 Jahren durch äußere Umstände vorzeitig und die gesamte Familie kehrte nach Österreich zurück. Das Finanzamt vertrat die Ansicht, dass der Bf während des gesamten Aufenthaltes in den USA weiterhin in Österreich (steuerlich) ansässig war, weil sein Mittelpunkt der Lebensinteressen in Österreich verblieben sei.
Das BFG gab der Beschwerde gegen die Einkommensteuerbescheide statt und stellte fest, dass im Zeitraum der Entsendung kein eindeutiges Überwiegen der persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen zu Österreich vorgelegen habe und demnach auf den gewöhnlichen Aufenthalt zurückzugreifen sei. Dieser sei während der Entsendung in den USA gewesen. Gegen die Entscheidung des BFG erhob das Finanzamt außerordentliche Revision an den VwGH.
Entscheidung des VwGH
Bei der Beurteilung der Ansässigkeit eines Steuerpflichtigen ist auf das Gesamtbild der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse abzustellen, wobei das Überwiegen zu einem Staat den Ausschlag gibt. Den wirtschaftlichen Beziehungen kommt dabei idR eine geringere Bedeutung als den persönlichen Beziehungen zu. Letztlich ist entscheidend, zu welchem der beiden Vertragsstaaten die engeren Beziehungen bestehen. Dabei ist für die Ermittlung des Mittelpunktes der Lebensinteressen regelmäßig nicht nur auf die Verhältnisse eines Jahres, sondern auf einen längeren Beobachtungszeitraum abzustellen.
Im konkreten Fall sprachen der Familienwohnsitz, das laufende Gehaltskonto in den USA sowie Inlandsurlaube in den USA für eine Ansässigkeit in den Vereinigten Staaten. Als Anknüpfungspunkte in Österreich bestanden hingegen ein Nebenwohnsitz (Eigenheim), die durchgehende österreichische Sozialversicherung, Überweisungen auf ein österreichisches Sparkonto sowie der grundsätzlich schon bei Wegzug bestandene Plan, die Kinder nach Ende des Auslandsaufenthaltes wieder in Österreich einzuschulen. Nach Ansicht des VwGH sprachen der Aufenthalt von engen Verwandten des Bf - nämlich des Vaters, der Schwiegermutter und des Schwagers in Österreich und der aufrechte österreichische Dienstvertrag für ein Überwiegen der Bezugspunkte zu Österreich.
Das BFG hat in seiner Beurteilung des Mittelpunkts der Lebensinteressen diese Umstände jedoch nicht ausreichend gewürdigt und weder berücksichtigt, dass sich enge Verwandte des Steuerpflichtigen (zB Vater, Schwiegermutter und Schwager) in Österreich befanden, noch dass sich keine Anhaltspunkte für persönliche Bindungen des Bf in den USA ergaben. Übliche Kontakte zu Arbeitskollegen und Mitbewohnern fallen hierbei nicht als persönliche Beziehungen zu einem Staat ins Gewicht. Darüber hinaus verfügte der Bf – entgegen den Ausführungen des BFG – über einen aufrechten Dienstvertrag mit einem österreichischen Arbeitgeber. Zum zeitlichen Aspekt merkte der VwGH an, dass sich schon aus seiner früheren Judikatur ergibt, dass eine zeitlich begrenzte Auslandstätigkeit den Mittelpunkt der Lebensinteressen regelmäßig auch dann im Inland bestehen lasse, wenn die Familie an den Arbeitsort im Ausland mitzieht, die Wohnung im Inland aber beibehalten wird.
Letztendlich war für den Verbleib des Mittelpunktes der Lebensinteressen in Österreich im konkreten Fall die vorzeitige Rückkehr nach Österreich nach knapp 2 Jahren (auch wenn ursprünglich eine dreijährige Entsendung geplant war) - insbesondere für die Wiedereingliederung seiner Kinder in das österreichische Schulsystem - für den VwGH entscheidend.
Fazit
Nach der Judikatur des VwGH muss für die Beurteilung des Mittelpunktes der Lebensinteressen eine umfassende Prüfung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse durchgeführt werden. Zusätzlich kommt dem zeitlichen Element (befristeter Aufenthalt) idR eine große Bedeutung zu. Die Entscheidung zeigt, dass persönliche und insbesondere familiäre Beziehungen regelmäßig mehr Gewicht haben als wirtschaftliche Beziehungen, weshalb letztere nur in Einzelfällen ausschlaggebend sind. Bei der Prüfung der engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen sind grundsätzlich allein objektive Kriterien von Bedeutung, subjektive Absichten und Erklärungen einer Person sind demgegenüber unbeachtlich. Die Entscheidung zeigt auch, dass die Frage der (steuerlichen) Ansässigkeit regelmäßig von großer Komplexität geprägt ist, weshalb bei internationalen Sachverhalten eine sorgfältige und umfassende Prüfung erforderlich ist.