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"Monthly Dose" Arbeitsrecht: Januar 2024

Aktuelle Rechtssprechung im Arbeitsrecht

Unsere Monthly Dosis Arbeitsrecht behandelt in der Januar-Ausgabe 2024 die Urteile des Bundesarbeitsgerichts (BAG) (1) vom 29.06.2023 (2 AZR 326/22) zur Unterrichtungspflicht im Rahmen eines Betriebsübergangs über nicht anwendbare Tarifverträge, (2) vom 24.08.2023 (2 AZR 17/23, 2 AZR 18/23 und 2 AZR 19/23) zur fristlosen Kündigung eines Mitarbeiters wegen beleidigender Äußerungen in einer privaten Chatgruppe bestehend aus einem beschränkten Kreis von Arbeitskollegen, (3) das Urteil des Landesarbeitsgericht (LAG) Hamm vom 24.05.2023 (9 Sa 1231/22) zur Darlegungs- und Beweislastverteilung bei Vergütungsansprüchen aus Mehrarbeit, (4) das Urteil des LAG Nürnberg vom 15.06.2023 (5 Sa 15/23) zum Beweiswert der Zustellung einer Kündigung via Einwurf-Einschreiben sowie (5) das Urteil des LAG Mecklenburg-Vorpommern vom 28.09.2023 (5 Sa 1/23) zur Gehaltsrückforderung wegen nicht erbrachter Arbeitsleistung im Homeoffice. Außerdem geben wir einen Überblick über die zum 1. Januar 2024 in Kraft getretenen Neuerungen im Arbeitsrecht.

1. Unterrichtung nach § 613a Abs. 5 Nr. 3 BGB über den tarifvertraglichen Status: Kein Negativ-Attest (BAG Urt. v. 29.06.2023, 2 AZR 326/22)

Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis aufgrund eines Betriebsübergangs nach § 613a des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) auf einen neuen Arbeitgeber übergeht, sind vom bisherigen Arbeitgeber oder vom neuen Arbeitgeber nach Maßgabe des § 613a Abs. 5 BGB über die dort genannten Unterrichtungsgegenstände in Bezug auf den Übergang ihres Arbeitsverhältnisses aufgrund des Betriebsübergangs zu unterrichten. Die vollständige und inhaltlich zutreffende Unterrichtung ist Voraussetzung für den Beginn der einmonatigen Frist für das in § 613a Abs. 6 BGB geregelte Recht des Arbeitnehmers, dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses aufgrund des Betriebsübergangs zu widersprechen. Eine fehlerhafte oder unvollständige Unterrichtung setzt die Widerspruchsfrist nicht in Lauf und Arbeitnehmer können in diesem Fall das Widerspruchsrecht bis zur zeitlichen Grenze der Verwirkung ausüben. Die Unterrichtung über die beim neuen Arbeitgeber geltenden Rechte und Pflichten gemäß § 613a Abs. 5 Nr. 3 BGB hat auch die Unterrichtung über die Anwendbarkeit tariflicher Normen zu enthalten. Das BAG hatte in der Entscheidung vom 20.09.2023 (2 AZE 326/22) Gelegenheit zur Beurteilung, ob die Informationspflicht sich auch auf die auf außertarifliche Mitarbeiter anwendbaren Tarifverträge zu enthalten hat.

Der klagende Arbeitnehmer war beim beklagten  Arbeitgeber in einem außertariflichen Arbeitsverhältnis tätig. Er war nicht Mitglied einer Gewerkschaft. Sein Arbeitsvertrag enthielt keine Bezugnahmeklausel(n) auf Tarifverträge. Bei der Beklagten fanden Tarifverträge nur für tarifgebundene Arbeitnehmer Anwendung. Zu diesen Tarifverträgen gehörte auch ein firmenbezogener Verbandstarifvertrag (TV Switch), der Regelungen zu sozialverträglichen Personalanpassungsmaßnahmen innerhalb des Konzerns der Beklagten enthielt und dazu unter anderem die Einrichtung eines konzerninternen Stellenmarktes mit einer konzerneigenen Vermittlungsgesellschaft (Switch) beinhaltete. Der Tarifvertrag enthielt auch die Verlautbarung, dass die von ihm erfassten Konzerngesellschaften seine Anwendung auch auf die außertariflich beschäftigten Arbeitnehmer sicherstellen würden.

Das Arbeitsverhältnis des Klägers ging aufgrund eines Betriebsübergangs am 01.02.2017 auf einen anderen Arbeitgeber über.

Die Beklagte führte die Unterrichtung nach § 613a Abs. 5 BGB im Dezember 2016 durch. Das Unterrichtungsschreiben war als einheitliches Unterrichtungsschreiben für alle vom Betriebsübergang betroffenen Arbeitnehmer ausgestaltet und enthielt zum tarifvertraglichen Status die Informationen, dass (1) der neue Arbeitgeber keinem Arbeitgeberverband angehört, nicht tarifgebunden ist und bisher weder Firmentarifverträge abgeschlossen hat noch Tarifverträge kraft Mitgliedschaft in einem Arbeitgeberverband anwendbar sind, (2) soweit auf das Arbeitsverhältnis vor dem Übergang kraft Tarifbindung Tarifverträge anwendbar waren, die in diesen geregelten Arbeitsbedingungen gem. § 613a Abs. 1 2 BGB Inhalt des Arbeitsverhältnisses zwischen dem Arbeitnehmer und dem neuen Arbeitgeber werden und wie arbeitsvertragliche Regelungen dynamisch fortwirken, und (3) Tarifverträge in Arbeitsverhältnissen von nichttarifgebundenen Arbeitnehmern mit einer arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel entsprechend fortgelten. Das Unterrichtungsschreiben enthielt keine „Negativklausel“ etwa in der Weise, dass für außertarifliche Mitarbeiter auch beim neuen Arbeitgeber keine Tarifverträge anwendbar sind.

Der Kläger übte im Mai 2019 sein Widerspruchsrecht nach § 613a Abs. 6 BGB aus. Er machte geltend, dass er den Widerspruch auch noch zu diesem Zeitpunkt – mehr als zwei Jahre nach der Unterrichtung – wirksam ausüben konnte, da die Unterrichtung unvollständig gewesen sei, indem im Unterrichtungsschreiben Informationen gefehlt hätten, ob gewisse tarifliche Regelungen (und hier vor allem der TV Switch) individualrechtlich oder kollektivrechtlich auf das Arbeitsverhältnis Anwendung finden würden. Der Kläger begehrte daher die Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis aufgrund seines Widerspruchs mit der Beklagten fortbestehe.

Das LAG Düsseldorf (Urt. v. 26.07.2022, 8 Sa 68/20) gab der Klage statt; dies im Kern mit der Begründung, dass das Unterrichtungsschreiben auch die explizite Information darüber enthalten haben müsse, dass der TV Switch keine Anwendung auf das Arbeitsverhältnis des Klägers habe.

Das BAG gab der von der Beklagten gegen das zweitgerichtliche Urteil eingelegten Revision statt und wies die Klage ab. Es bestätigte zunächst seine bisherige Rechtsprechung, dass die Unterrichtung über die Anwendbarkeit tariflicher Normen auch die Frage umfasse, inwieweit beim Veräußerer geltende Tarifverträge durch beim Erwerber geltende Tarifverträge abgelöst werden. Der Katalog der nach § 613a Abs. 5 Nr. 3 BGB unterrichtungspflichtigen tariflichen Normen umfasse aber nicht die Verpflichtung zur Unterrichtung eines außertariflichen Arbeitnehmers als „Negativ-Attest“ etwa in der Weise, das auf Arbeitsverhältnisse von Mitarbeitern, auf die bereits beim bisherigen Arbeitgeber keine Tarifverträge anwendbar sind, auch beim Erwerber keine Tarifverträge anwendbar sind. Als nichttarifgebundener Arbeitnehmer, für den schon bislang keine Tarifverträge galten, hätte der Kläger aufgrund des Unterrichtungsschreibens keinen Anlass zu Zweifeln über die Anwendung von Tarifverträgen oder deren Inhalt in seinem Arbeitsverhältnis mit der ebenfalls nichttarifgebundenen Beklagten haben können. Dies gelte auch für den TV Switch, da dieser – zwischen den Parteien unstreitig – vor dem Betriebsübergang nicht auf das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger angewendet gewesen wäre.

Folgen für die Praxis

Die ordnungsgemäße Unterrichtung von Arbeitnehmern im Rahmen eines Betriebsübergangs nach § 613a BGB nach Maßgabe des § 613 Abs. 5 BGB inkludiert – unverändert – eine der größten Herausforderungen für Arbeitgeber im deutschen Arbeitsrecht und sie haben insbesondere die sehr formalen und inhaltlich restriktiven Anforderungen der Rechtsprechung an die einzelnen Unterrichtungsgegenstände nach § 613a Abs. 5 BGB zu beachten.

Das vorliegende Urteil zeigt zugleich die Grenzen der Unterrichtungspflicht: Arbeitgeber sind in Bezug auf den tarifvertraglichen Status nicht dazu verpflichtet, nicht tarifgebundene Arbeitnehmer im Wege eines „Negativattest“ darauf hinzuweisen, dass im Unternehmen des bisherigen/neuen Arbeitgebers etwa anwendbare Tarifverträge auf ihr Arbeitsverhältnis auch nach dem Betriebsübergang nicht anwendbar sind. Zudem hat das BAG erneut darauf hingewiesen, dass Arbeitgeber im Rahmen des Unterrichtungsschreibens keine individuelle Rechtsberatung des Arbeitnehmers schulden, sondern ein einheitliches Unterrichtungsschreiben für alle vom Betriebsübergang betroffenen Arbeitnehmer verwenden können, sofern dieses die verschiedenen Folgen für die unterschiedlichen Arbeitnehmergruppen aufzeigt.

2. Beleidigende Äußerungen in einer privaten Chatgruppe aus einem beschränkten Kreis von Arbeitskollegen: Kein Schutz des “vertraulichen Wortes in der Chat-Gruppe” (BAG Urt. v. 24.08.2023, 2 AZR 17/23, 2 AZR 18/23 und 2 AZR 19/23)

Das BAG hatte in seinen Urteilen vom 24.08.2023 (2 AZR 17/23, 2 AZR 18/23 und 2 AZR 19/23) in drei in Bezug auf den Streitgegenstand inhaltlich gleichgelagerten Sachverhalten Gelegenheit, seine Rechtsprechung zum Vertrauensschutz von Gesprächsinhalten unter Arbeitskollegen in privaten Gesprächskreisen fortzuführen.

Die klagenden Arbeitnehmer waren seit 2014 Mitglieder einer Whatsapp-Chatgruppe mit weiteren Arbeitskollegen, die langjährig befreundet und teilweise miteinander verwandt waren. Im November 2020 wurde ein weiterer Arbeitskollege als Gruppenmitglied aufgenommen. Insgesamt bestand die Chatgruppe im Wesentlichen aus sechs, zeitweilig aus sieben, aktiven und ehemaligen Arbeitnehmern des beklagten Arbeitgebers. Gegenstand der Gruppenunterhaltungen waren sowohl rein private als auch das Arbeitsumfeld der Gruppenmitglieder betreffende Themen. Die jeweiligen Kläger äußerten sich in der Chatgruppe in verschiedenen Chatbeiträgen über (nicht in der Chatgruppe aufgenommenen) Arbeitskollegen und Vorgesetzten in stark beleidigender, rassistischer, fremdenfeindlicher, sexistischer und menschenverachtender Weise und riefen teilweise sogar zu Gewalt gegen diese Personen auf. Die Beklagte erfuhr unter Weiterleitung des Chatinhalts durch ein ehemaliges Gruppenmitglied von den Äußerungen der jeweiligen Kläger und sprach infolgedessen jeweils außerordentliche fristlose Kündigungen gegenüber diesen Arbeitnehmern aus. Die Beklagte war der Ansicht, dass die jeweiligen Kläger durch ihre Äußerungen ihre arbeitsvertraglichen Pflichten schwer verletzt haben. Die jeweiligen Kläger vertraten die Ansicht, dass der Inhalt des Chatverlaufs nicht verwertbar sei, da es sich um einen rein privaten Austausch gehandelt habe. Die Kläger erhoben jeweils Kündigungsschutzklagen, denen beide Vorinstanzen stattgegeben haben. Das LAG Niedersachsen als zweitinstanzliches Gericht sah zwar in den Äußerungen selbst durchaus einen wichtigen Grund für eine außerordentliche fristlose Kündigung nach § 626 Abs. 1 BGB, vertrat jedoch die Ansicht, dass die Kommunikation, aufgrund der Gesamtumstände, als vertraulich zu werten sei.

Das BAG gab den Revisionen der Beklagten statt und verwies die Entscheidungen an das LAG Niedersachsen zurück.

Das BAG führte im Ausgangspunkt aus, dass die jeweiligen fremdenfeindlichen, rassistischen bzw. grob beleidigenden Äußerungen über die Beklagte und einzelne nicht im Chat aufgenommene Arbeitskollegen jeweils als grobe Verletzungen der Treuepflicht einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung nach § 626 BGB bilden können. Das BAG sah in Bezug auf den konkreten Chatinhalt kein Sachvortrags- oder Beweisverwertungsverbot. Ein solches käme sowohl verfassungsrechtlich als auch im Rahmen der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) nur dann in Betracht, wenn eine Nichtberücksichtigung von Sachvortrag oder eines Beweismittels aufgrund einer geschützten Rechtsposition einer Prozesspartei zwingend geboten wäre. Durch die gerichtliche Verwertung der von der Beklagten den jeweiligen Klägern vorgeworfenen Äußerungen in dem Chatverlauf fand nach Ansicht des BAG kein grundrechtswidriger Eingriff in deren allgemeines Persönlichkeitsrecht statt. Zwar gebe es eine beleidigungsfreie Sphäre bei Äußerungen, die in einer Situation des besonderen Vertrauens geäußert werden, hierfür müsse allerdings eine berechtigte Vertraulichkeitserwartung bestehen und dargelegt werden, wie sie beispielsweise bei Familienmitgliedern oder Vertrauenspersonen  in einem mit Familienmitgliedern vergleichbaren engen sozialen Kontakt vorliegt. Ob, und unter welchen Umständen, sich eine Prozesspartei auf eine solche Vertraulichkeitserwartung berufen kann, hängt nach Ansicht des BAG vom Inhalt der ausgetauschten Nachrichten, der Größe und personellen Zusammensetzung der Chatgruppe, Änderungen der Zusammensetzung und nicht zuletzt des genutzten Mediums ab. Hiernach sei eine solche Vertraulichkeitserwartung in einem Gruppenchat mit Arbeitskollegen bei derart diffamierenden Aussagen nur in Ausnahmefällen möglich. Die bei Whatsapp relevante „Ende-zu-Ende-Verschlüsselung“ der Daten sowie eine langjährige Freundschaft und teilweise Verwandtschaft mit den Arbeitskollegen sind nach Ansicht des BAG für eine solche Annahme nicht ausreichend. Die Größe der Chatgruppe mit zeitweilig sieben Personen, wovon sich nur drei Mitglieder in einer vergleichbaren Art geäußert haben und der Mitgliederbestand nicht kontinuierlich gleichbleibend war, spricht nach Ansicht des BAG ebenfalls gegen einen vertraulichen Gesprächskreis. Ebenso kann eine solchewartung nicht auf Grund des langen zeitlichen Bestandes des Gruppenchats angenommen werden. Weiterhin spreche die leichte Kopierbarkeit und Weiterleitungsmöglichkeit gegen eine berechtigte Vertraulichkeitserwartung. Das BAG wies den Rechtsstreit an das LAG Niedersachsen mit der Maßgabe zurück, dass die jeweiligen Kläger im fortgesetzten Berufungsverfahren Gelegenheit zur Darlegung haben müssten, warum sie eine berechtigte und nicht nur eine einseitige, subjektive Vertraulichkeitserwartung haben durften, dass nicht ein einziges Gruppenmitglied ihre Äußerungen Dritten offenbare.

Folgen für die Praxis

Private Chats unter Arbeitskollegen in Whatsapp-Gruppen erfahren in der Praxis unverändert eine große Beliebtheit. Die Präzisierungen des BAG in seinem Urteil an die berechtigte Vertraulichkeitserwartung bei Privatäußerungen in solchen privaten Whatsapp-Gruppen sind vor diesem Hintergrund sehr hilfreich; insbesondere mit Blick auf die restriktiven Maßstäbe an die Darlegungs- und Beweislast des Arbeitnehmers zur berechtigten Vertraulichkeitserwartung über den privaten Chatinhalt, die vor allem die Intensität der Äußerungen, die Größe, Zusammensetzung und Änderung der Gruppe, sowie der Art des genutzten Mediums zu berücksichtigen hat. Arbeitnehmer, die sich in beleidigender und herabwürdigender Art und Weise über andere Mitarbeiter oder den Arbeitgeber äußern, werden es zukünftig deutlich schwerer haben, sich auf eine berechtigte Vertraulichkeitserwartung zu berufen und daher eher arbeitsrechtliche Konsequenzen fürchten müssen. Als präventive Maßnahmen sind interne Guidelines zur Nutzung von Social-Media- und Kommunikationsplattformen sowie Mitarbeiterschulungen empfehlenswert, um das allgemeine Verständnis für einen angemessen Umgangston (“Netzetikette”) im Arbeitsumfeld und hier insbesondere auch in privaten (Whatsapp-)-Chats zu steigern.

3. Darlegungs- und Beweislastverteilung bei Überstundenvergütung (LAG Hamm Urt. v. 24.05.2023, 9 Sa 1231/22)

In seinem Urteil vom 24.05.2023 hatte das LAG Hamm Gelegenheit, die Rechtsgrundsätze zur Darlegungs- und Beweislastverteilung in einem Überstundenprozess fortzuführen.

Der klagende Arbeitnehmer war bei der beklagten Arbeitgeberin als Lagermitarbeiter und Servicetechniker beschäftigt. Die Bruttomonatsvergütung betrug bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden zuletzt 2.500 EUR. Der Kläger nahm an der bei der Beklagten eingerichteten elektronischen Arbeitszeiterfassung in Form einer Stempeluhr teil. Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses rechnete die Beklagte 299,50 Überstunden mit einem Stundenlohn in Höhe von 10 EUR brutto ab und zahlte den entsprechenden Nettobetrag aus. Der Kläger begehrte die Abrechnung von 299,50 Überstunden zu einem Stundenlohn in Höhe von 14,42 Euro brutto sowie die Auszahlung des sich daraus ergebenden Differenzbetrags in Höhe von insgesamt 1.323,79 EUR. Er war der Auffassung, der erhöhte Stundenlohn ergebe sich aus der Bruttomonatsvergütung in Höhe von zuletzt 2.500 EUR und der wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden. Die Beklagte trug vor, dass die Abrechnung der 299,50 Überstunden auf einem Übertragungsfehler beruhe und für die Berechnung der Überstundenvergütung ein unzutreffender Stundenlohn in Höhe von 10 EUR brutto zugrunde gelegt wurde. Der Kläger habe ausweislich der Daten aus der elektronsichen Arbeitszeiterfassung – die die Beklagte auch im Rechtsstreit vorlegte – insgesamt nur 183,75 Stunden als Überstunden geleistet. Bei Zugrundelegung des korrekten Stundenlohns in Höhe von 14,42 Euro brutto, hätte sich damit lediglich ein Gesamtbetrag in Höhe von 2.649,67 Euro brutto ergeben. Da der Kläger aber bereits 2.995 Euro brutto erhalten habe, stehe ihm kein weitergehender Anspruch auf Überstundenvergütung zu. Der Kläger hielt im Rechtsstreit dem Vortrag der Beklagten zur tatsächlichen Leistung von 183,75 Überstunden die Behauptung entgegen, dass die Beklagte die Zeiterfassung “manipuliert” habe, wobei er eine Konkretisierung dieser Behauptung unterließ.

Das LAG Hamm wies die Klage ab.

Im Ausgangspunkt sei der Arbeitgeber zur Gewährung der Vergütung für die vereinbarte Arbeitsleistung verpflichtet. Diese Pflicht betrifft zunächst nur die Vergütung der vereinbarten Normalarbeitszeit. Erbringt der Arbeitnehmer Überstunden, ist der Arbeitgeber zu ihrer Vergütung nur verpflichtet, wenn er die Leistung veranlasst hat oder diese ihm zumindest zuzurechnen ist. Insoweit trifft den Arbeitnehmer die Darlegungs- und Beweislast der anspruchsbegründenden Umstände. Erfolgt entsprechender Vortrag des Arbeitnehmers, muss der Arbeitgeber im Rahmen einer abgestuften Darlegungs- und Beweislast substantiiert erwidern und im Einzelnen vortragen, welche Arbeiten er dem Arbeitnehmer zugewiesen hat und an welchen Tagen der Arbeitnehmer von wann bis wann diesen Weisungen nachgekommen oder nicht nachgekommen ist. Im vorliegenden Fall war die Beklagte der Klageforderung substantiiert entgegengetreten, indem sie die Monatsjournale aus der elektronischen Zeiterfassung vorlegte. Daraus ergab sich zwar, dass sich die Beklagte bei der Anzahl der Überstunden ein weiteres Mal zugunsten des Klägers verrechnet hatte. Der Kläger konnte dem Vortrag der Beklagten jedoch seinerseits nicht substantiiert entgegentreten und konkret vortragen, an welchen Tagen er über die in der elektronischen Zeiterfassung ausgewiesenen 165,25 Überstunden hinaus gearbeitet haben wollte. Er hatte sich lediglich darauf beschränkt, der Beklagten ohne erkennbaren Anhaltspunkt pauschal eine „Manipulation“ der monatlichen Zeiterfassung zu unterstellen. Der vom Kläger „ins Blaue hinein“ erhobene Vorwurf der „Manipulation“ ändere an der Verteilung der Darlegungs- und Beweislast jedoch nichts. Der Kläger hätte substantiiert vortragen müssen, warum die von der Beklagten vorgetragenen Daten seiner Wahrnehmung nach nicht der Realität entsprachen. Dies haber er nicht getan.

Folgen für die Praxis

Das Urteil des LAG Hamm fügt sich in die Rechtsprechung der oberinstanzlichen Gerichte zur Darlegungs- und Beweislastverteilung in Überstundenprozessen ein. Die Darlegungs- und Beweislast bezüglich der anspruchsbegründenden Umstände von Vergütungsforderungen aufgrund Überstunden liegt grundsätzlich beim Arbeitnehmer. Arbeitgeber müssen solchen Forderungen im Fall des Bestreitens substantiiert entgegentreten, bestenfalls durch Vorlage von Auszügen aus elektronischen Zeiterfassungsprogrammen. Dem Arbeitnehmer obliegt es dann konkret vorzutragen und ggf. zu beweisen, weshalb diese Auswertungen unzu-treffend sein sollen. In der prozessualen Praxis erweist sich diese Darlegungs- und Beweislastverteilung regelmäßig als hohe Hürde für Arbeitnehmer. Daran war auch der Kläger im vorliegenden Rechtsstreit gescheitert.

4. Kündigung via Einwurf-Einschreiben: Auslieferungsbeleg mit Unterschrift des Postbediensteten als Beweis des ersten Anscheins für den Zugang des Schreibens zum Zeitpunkt der üblichen Postzustellzeiten (LAG Nürnberg Urt. v. 15.06.2023, 5 Sa 1/23)

Vor Zustellung von Kündigungsschreiben, aber auch Abmahnungen, Freistellungserklärungen u.a. stellt sich in der Praxis stets die Frage, wie rechtssicher die Verwendung eines Einwurf-Einschreibens ist und ob mit dieser Zustellungsvariante zumindest der Anscheinsbeweis für den Zugang des Kündigungsschreibens erbracht werden kann. In seinem Urteil vom 15.06.2023 (5 Sa 1/23) hatte sich das LAG Nürnberg einmal mehr mit der Frage zu beschäftigen. 

In dem der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt stritten die Parteien über den Zugang einer ordentlichen Kündigung. Die Klägerin war seit dem 01.04.2021 bei dem Beklagten beschäftigt, wobei arbeitsvertraglich eine Kündigungsfrist von drei Monaten zum Quartalsende vereinbart worden war. Mit Schreiben vom 28.09.2021 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin ordentlich zum 31.12.2021. Dieses Schreiben wurde gemäß dem Zustellungsnachweis der Deutschen Post-AG am 30.09.2021 durch einen Mitarbeiter der Deutsche Post-AG in den Briefkasten der Klägerin eingeworfen. Die Klägerin führte im Rechtsstreit aus, dass sie sich vom 28.09.2021 bis zum 06.10.2021 in stationärer Behandlung in einem Krankenhaus befunden habe und ihr das Kündigungsschreiben erst am 06.10.2021 zugegangen sei. Mit ihrer Klage beantragt die Klägerin die Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht zum 31.12.2021, sondern erst zum 31.03.2022 geendet habe.

Das LAG Nürnberg wies die Klage ab. Sofern eine Kündigung per Einwurf-Einschreiben verschickt werde und der Einlieferungsbeleg und die Reproduktion des Auslieferungsbelegs mit der Unterschrift des Zustellers vorliegen, spreche der Beweis des ersten Anscheins sowohl für den Zugang des Schreibens beim Empfänger als auch für den Zugang des Schreibens zum Zeitpunkt der üblichen Postzustellzeiten.

Der feststehende tatsächliche Geschehensablauf führe mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu einem Einwurf der Sendung in das richtige Postfach bzw. den richtigen Briefkasten. Zwar seien fehlerhafte Zustellungen naturgesetzlich nicht ausgeschlossen, aber nach der Erfahrung so unwahrscheinlich, dass die Annahme eines Anscheinsbeweises gerechtfertigt sei. Es könne grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass die Zustellung im Rahmen der zugewiesenen Arbeitszeiten des Mitarbeiters erfolge und dass damit zu rechnen sei, dass eine Leerung des Hausbriefkastens unmittelbar nach Abschluss der Postzustellzeiten erfolge. Dementsprechend obliege es der Klägerin, aufzuzeigen, dass das Schreiben außerhalb der gewöhnlichen Postzustellzeiten in ihren Briefkasten gelangt sei, wofür allerdings keine Anhaltspunkte ersichtlich seien. Nach diesen Rechtssätzen sei das Kündigungsschreiben am 30.09.2021 derart in den Machtbereich der Klägerin gelangt, dass diese unter normalen Umständen am gleichen Tag hiervon hätte Kenntnis nehmen können, wobei die Klägerin die Obliegenheit treffe, die nötigen Vorkehrungen für eine tatsächliche Kenntnisnahme zu treffen; unabhängig von etwaigen Abwesenheiten. 

Folgen für die Praxis

Das Urteil des LAG Nürnberg fügt sich in die arbeitsrechtliche Praxis ein und bestätigt die hier von der beklagten Arbeitgeberin gewählte Vorgehensweise der Zustellung des Kündigungsschreibens durch einen externen Kurierdienstleister mit relevanter Dokumentation des Einwurfs der Kündigung in den Briefkasten/die relevante Empfangsvorrichtung beim Arbeitnehmer als bedarfsgerechtes Instrument des Arbeitgebers zur Darlegung und zum Beweis des Zugangs des Kündigungsschreibens.

5. Gehaltsrückforderung wegen nicht erbrachter Arbeitsleistung im Homeoffice: Darlegungs- und Beweislastverteilung (LAG Mecklenburg-Vorpommern Urt. v. 28.09.2023, 5 Sa 15/23)

Im Arbeitsrecht gilt der Grundsatz, dass der Anspruch auf Vergütung des Arbeitnehmers ganz oder teilweise entfällt, wenn dieser seine Arbeitsleistung nicht oder nicht vollumfänglich erfüllt. Die Darlegungs- und Beweislast für eine eventuelle Nichtleistung trägt der Arbeitgeber.

Diese Darlegungs- und Beweislastverteilung hat das LAG Mecklenburg-Vorpommern in seinem Urteil vom 28.09.2023 (5 Sa 15/23) auch für Arbeitsleistungen, die im Homeoffice erbracht werden, bestätigt. In dem streitgegenständlichen Sachverhalt beschäftigte die beklagte Arbeitgeberin, die eine Tagespflegeeinrichtung sowie eine Einrichtung des betreuten Wohnens betreibt, die klagende Arbeitnehmerin als Pflegemanagerin und leitende Pflegekraft. Der Klägerin wurde gestattet, ihre Arbeitsleistungen auch im Homeoffice zu erbringen. Dabei hatte sie insbesondere die Aufgabe, das Qualitätshandbuch der Beklagten und andere für das Pflegemanagement erforderliche Unterlagen zu überarbeiten. Ihre Arbeitszeiten hatte sie in einer vorgegebenen Tabelle nach Arbeitsbeginn und Arbeitsende zu erfassen. 

Nach Ausspruch einer arbeitgeberseitigen Kündigung und Beendigung des Arbeitsverhältnisses forderte die Beklagte Rückzahlung des Arbeitslohns für 300,75 Arbeitsstunden. Sie behauptete, in den erfassten Arbeitsstunden habe die Klägerin weder Änderungen an den Qualitätshandbüchern vorgenommen noch sonstige Ausarbeitungen oder Dokumente abgegeben. Sie habe Arbeitszeiten von 300,75 Stunden angegeben, ohne irgendeinen objektivierbaren Arbeitsnachweis hierfür vorlegen zu können. Die Beklagte müssen daher davon ausgehen, dass die Klägerin in den von ihr angegeben Arbeitsstunden keinerlei Arbeitsleistung erbracht habe und entsprechend einen Anspruch auf Rückzahlung der gewährten Vergütung habe. Allerdings hatte die Klägerin während der erfassten Arbeitsstunden unstreitig verschiedene E-Mails aus dem Homeoffice versandt, die unterschiedliche Word-Dokumente in Zusammenhang mit ihren Aufgaben zum Qualitätshandbuch sowie anderen dienstlichen Inhalten zum Gegenstand hatten.

Das LAG Mecklenburg-Vorpommern gab der Klage statt. Die von der Beklagten geltend gemachten Rückzahlungsansprüche bestünden nicht, da die Beklagte nicht habe substantiiert darlegen können, dass und in welchem Umfang die Klägerin ihre Arbeitspflicht tatsächlich nicht erbracht habe. Insoweit würden die allgemeinen Grundsätze für die Darlegungs- und Beweislast in Bezug auf die Nichterbringung der Arbeitsleistung durch den Arbeitnehmer auch für Home Office-Tätigkeiten gelten. Vorliegend habe die Beklagte weder eine gänzliche noch teilweise Nichtleistung der Klägerin belegt. Sie habe insbesondere nicht dargelegt, dass die Klägerin zumindest an einzelnen Tagen oder Stunden gar nicht gearbeitet habe und welche Tage oder Stunden dies betreffe. Die Klägerin habe im Home-Office verschiedene Arbeitsleistungen erbracht, was sich insbesondere aus ihren E-Mails an die Beklagte und andere Beschäftigte ergebe. Dabei habe die Klägerin zwar nicht die vollständige Überarbeitung des Qualitätshandbuchs abgeschlossen bzw. an die Beklagte übersandt, jedoch lasse sich aus diesem Umstand nicht schließen, dass die Klägerin überhaupt keine Arbeitsleistung erbracht habe. Unerheblich sei, ob die Klägerin ihre Leistungen in der gewünschten Zeit oder in dem gewünschten Umfang erledigt habe. Ein Mitarbeiter genüge seiner Leistungspflicht, wenn er unter angemessener Ausschöpfung seiner persönlichen Leistungsfähigkeit arbeite.

Folgen für die Praxis

Die Entscheidung des LAG Mecklenburg-Vorpommern verdeutlicht die restriktiven Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast des Arbeitgebers in Bezug auf die Nichterbringung der Arbeitsleistung durch den Arbeitnehmer, die insbesondere bei Home Office-/remote work-Tätigkeiten oder an sonstigen Arbeitsorten bestehen, an denen der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung allein erbringt. Arbeitgeber sollten bei Besorgnis um die tatsächliche Leistungserbringung zur Begegnung der Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast die langfristige Dokumentation der Arbeitsergebnisse anstreben, um der arbeitgeberseitigen Darlegungs- und Beweislast in einem potenziellen Rechtsstreit genügen zu können.

6. Neuerungen im Arbeitsrecht 2024

(1) Kinderkrankengeld nach § 45 SGB V: 15 Tage/30 Tage für Alleinerziehende

Gemäß § 45 Abs. 1 S. 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankengeld, wenn sie zur Beaufsichtigung, Betreuung oder Pflege ihres erkrankten und versicherten Kindes der Arbeit fernbleiben, eine andere in ihrem Haushalt lebende Person das Kind nicht beaufsichtigen, betreuen oder pflegen kann und das Kind das zwölfte Lebensjahr noch nicht vollendet hat oder behindert und auf Hilfe angewiesen ist. Der Gesetzgeber dehnte den Anspruch während der Corona-Pandemie für die Betreuung von Kindern bis zum vollendeten 12. Lebensjahr auf einen Zeitraum von 30 Tagen/60 Tage für Alleinerziehende aus; dies zuletzt einschließlich des Kalenderjahres 2023. Für die Kalenderjahre 2024 und 2025 wurde der Anspruch auf 15 Tage/30 Tage für Alleinerziehende festgelegt. 

(2) Telefonische Krankschreibung

Auf der Grundlage der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit und die Maßnahmen zur stufenweisen Wiedereingliederung nach § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 7 SGB V (AURL) ist es seit dem 7. Dezember 2023 wieder möglich, sich telefonisch krankschreiben zu lassen. Hierbei kann nach § 4 Abs. 5 S. 2, Abs. 5a S. 1 AURL eine telefonische Anamnese erfolgen, sofern eine Videosprechstunde nicht möglich ist und bei dem Versicherten eine Erkrankung besteht, die keine schwere Symptomatik aufweist. Die erstmalige Feststellung der Arbeitsunfähigkeit soll nicht über einen Zeitraum von bis zu fünf Tagen hinaus gehen. Darüber hinaus muss der Patient dem Arzt bereits bekannt sein. Nach § 4 Abs. 5 S. 5 AURL kann die erstmalige Feststellung der Arbeitsunfähigkeit im Rahmen einer Videosprechstunde für einen Zeitraum bis zu sieben Kalendertagen erfolgen. 

(3) Whistleblowing-Meldestellen

Das am 02.07.2023 in Kraft getretene Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG) sah bisher für Unternehmen mit mindestens 250 Mitarbeitern eine Verpflichtung vor, interne Meldestellen für Hinweise auf Rechtsverstöße einzurichten. Mit Inkrafttreten der Änderungen zum 17.12.2023 sind gemäß § 12 Abs. 1 f. HinSchG nunmehr auch Arbeitgeber mit mindestens 50 Mitarbeitern verpflichtet, mindestens eine Stelle für interne Meldungen einzurichten und zu betreiben, an die sich Beschäftigte wenden können, um Missstände, die ihnen im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit bekannt geworden sind, zu melden. Die Nichterrichtung der internen Meldestelle inkludiert eine Ordnungswidrigkeit (§ 40 Abs. 2 Nr. 2 HinSchG), die nach § 40 Abs. 6 HinSchG mit einer Geldbuße von bis zu 20.000 EUR bedroht ist.

(4) Erhöhung des Mindestlohns

Durch die vierte Verordnung zur Anpassung der Höhe des Mindestlohns vom 24. November 2023 wurde der gesetzliche Mindestlohn mit Wirkung zum 01.01.2024 gemäß § 1 Nr. 1 der Verordnung auf 12,41 EUR je Zeitstunde angehoben. Dadurch steigt die Verdienstgrenze in einem geringfügigen Beschäftigungsverhältnis nach Maßgabe des § 8 SGB IV (Minijob) auf 538 EUR monatlich.

Auch der Mindestlohn für Auszubildende erhöht sich. Für Ausbildungsverhältnisse, die ab dem 01.01.2024 beginnen, werden gesetzlich keine Mindestvergütungssätze mehr festgesetzt, sondern gemäß § 17 Abs. 2 des Berufsbildungsgesetzes (BBiG) fortgeschrieben, wobei diese Fortschreibung dem rechnerischen Mittel aller bei Vertragsschluss vereinbarten Ausbildungsvergütungen im Vergleich der beiden dem Jahr der Bekanntgabe vorausgegangenen Kalenderjahre entspricht. Die Höhe dieser Mindestvergütung wird durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung jeweils spätestens bis zum 01.11. eines jeden Kalenderjahres im Bundesgesetzblatt bekannt gemacht. Ab dem 01.01.2024 beträgt die Höhe der monatlichen Mindestvergütung im ersten Lehrjahr 649 EUR, im zweiten Lehrjahr 766 EUR, im dritten Lehrjahr 876 EUR und im vierten Lehrjahr 909 EUR.

Zu beachten ist, dass gemäß § 17 Abs. 3 BBiG auch eine nach § 3 Abs. 1 TVG geltende tarifvertragliche Vergütungsregelung, durch die die genannten Mindestvergütungsgrenzen unterschritten werden, angemessen ist.

(5) Betragserhöhung bei Nichtbesetzung inklusiver Arbeitsplätze

Nach der Neufassung des § 160 Abs. 2 SGB IX wurden zum 01.01.2024 die Ausgleichsabgaben bei der Unterschreitung der gesetzlichen Quoten bei der Besetzung von Arbeitsplätzen mit schwerbehinderten oder gleichgestellten Beschäftigten auf bis zu 720 EUR bei einer jahresdurchschnittlichen Beschäftigungsquote von 0 % erhöht. Darüber hinaus wird die Nichtbesetzung künftig nicht mehr mit einem Bußgeld geahndet.

(6) Geringere Einkommensgrenze beim Elterngeld

Gemäß § 1 Abs. 8 BEEG besteht kein Anspruch auf Elterngeld, wenn die berechtigte Person im letzten abgeschlossenen Veranlagungszeitraum vor der Geburt des Kindes ein zu versteuerndes Einkommen von mehr als 200.000 EUR erzielt hat. Bei Paaren entfällt der Anspruch, wenn das zu versteuernde Einkommen beider Personen den Betrag von 300.000 EUR übersteigt.

Diese Obergrenzen werden mit Wirkung zum 01.04.2024 reduziert, demnach die Grenze des zu versteuernden Jahreseinkommens für Paare auf 200.000 EUR und für Alleinerziehende auf 150.000 EUR gesenkt wird. Darüber hinaus wird mit Wirkung zum 01.04.2024 eingeführt, dass ein gleichzeitiger Bezug von Elterngeld beider Elternteile in nur einem der ersten zwölf Lebensmonate des Kindes möglich ist. Bisher konnte der 14-monatige Elterngeldanspruch beliebig zwischen den Elternteilen aufgeteilt werden.

(7) Reform zur Erleichterung der Aus- und Weiterbildungsförderung

Künftig werden Förderbedingungen für Weiterbildungsangebote erleichtert. Nach Art. 2 des Gesetzes zur Stärkung der Aus- und Weiterbildungsförderung vom 17. Juli 2023 wird § 82a SGB III zum 01.04.2024 dahingehend geändert, dass Arbeitnehmer bei beruflicher Weiterbildung Qualifizierungsgelder von der Agentur für Arbeit erhalten können, wenn im Betrieb des Arbeitgebers strukturwandelbedingt Qualifizierungsbedarf für mindestens 20 % der Beschäftigten besteht. Bei Betrieben mit weniger als 250 Arbeitnehmer ist es ausreichend, wenn mindestens 10 % der Arbeitnehmer von strukturwandelbedingtem Qualifizierungsbedarf betroffen sind. Die Weiterbildungsmaßnamen müssen dabei mindestens 120 Stunden in Anspruch nehmen und die jeweiligen Arbeitnehmer dürfen in den letzten vier Jahren nicht an einer derart geförderten beruflichen Weiterbildung teilgenommen haben. Darüber hinaus soll die Agentur für Arbeit noch stärker die berufliche Orientierung durch Berufsorientierungspraktika und die Bezuschussung der Mobilität im Rahmen der Berufsausbildung bei einem nicht in angemessener Zeit erreichbaren Ausbildungsplatz fördern.

(8) Digitale Meldung von Arbeitsunfällen

Nach Art. 1 der Verordnung zur Neuregelung der Anzeige von Versicherungsfällen in der gesetzlichen Unfallversicherung vom 17. Juli 2023 sieht die Verordnung über die Anzeige von Versicherungsfällen in der gesetzlichen Unfallversicherung (Unfallversicherungs-Anzeigeverordnung – UVAV) vor, dass Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten nach §§ 193, 202 SGB VII ab dem 01.01.2024 durch elektronische Datenübertragung anzuzeigen sind.

(9) Auslauf der Inflationsausgleichsprämie zum 31.12.2024

Nach Art. 2 des Gesetzes zur temporären Senkung des Umsatzsteuersatzes auf Gaslieferungen über das Erdgasnetz vom 19. Oktober 2022 darf der Arbeitgeber noch bis zum 31.12.2024 zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn eine steuerfreie Inflationsausgleichsprämie in Höhe von 3.000,00€ auszahlen.

(10) Anstieg Krankenkassen-Zusatzbeitrag

Nach der Bekanntmachung des durchschnittlichen Zusatzbeitragssatzes nach § 242a Abs. 2 SGB V für das Jahr 2024 vom 16. Oktober 2023 steigt der durchschnittliche Zusatzbeitrag zur Krankenversicherung, den Arbeitgeber und Arbeitnehmer je zur Hälfte zahlen, für 2024 um 0,1 Prozentpunkte auf 1,7 Prozent an.

* Zugunsten einer besseren Lesbarkeit beziehen sich die auf dieser Webseite gewählten geschlechterspezifischen Personenbezeichnungen in jedem Fall zugleich auf weibliche, männliche und diverse Personen. 

 

Stand: Januar 2024

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