Die Idee war gut: Ein Konzern stellte seinen Beschäftigten an mehreren Standorten Elektrofahrräder bereit, mit denen sie auf gesunde Art zur Arbeit fahren sollten. Nach einem Jahr durften sie das Gefährt günstig kaufen. Zu günstig – wie das Finanzamt nach einer Betriebsprüfung befand. Die Beamten sahen darin einen geldwerten Vorteil, der versteuert werden musste. Daran hatte das Management nicht gedacht. Um die Mitarbeiter nicht nachträglich zur Kasse zu bitten, zahlte das Unternehmen den Steuernachschlag aus eigener Tasche an das Finanzamt.
Das fiktive Beispiel zeigt, in welche Falle eine Firma tappen kann, die steuerliche Risiken nicht rechtzeitig erkennt und ausräumt. Dumm gelaufen – denn die Sachkenntnis ist in den meisten Fällen vorhanden – nur leider nicht immer an der richtigen Stelle. In unserem Beispiel hatte die Personalabteilung das Programm vorbereitet, um die Gesundheit der Mitarbeiter zu fördern. Spezialisten aus der Steuerabteilung hörten zwar von der Aktion, fühlten sich aber nicht zuständig. Sie sahen ihre Aufgabe ausschließlich darin, die von der Buchhaltung gelieferten Daten zu bearbeiten und gewissenhaft in die Steuererklärungen zu übertragen.
Mit so einer Erklärung kommt beim Finanzamt natürlich niemand durch. Letztlich sind immer die gesetzlichen Vertreter (d.h. Geschäftsführung oder Vorstand) dafür verantwortlich, dass der Fiskus die Steuern erhält, die ihm zustehen. Selbst Spitzenmanager großer Konzernen können von Gerichten zur Verantwortung gezogen werden, wenn in ihrem Unterstellungsbereich Steuern grob vorsätzlich oder leichtfertig hinterzogen wurden. Geht es um Beträge von mehr als einer Million Euro, droht sogar Gefängnis.
Doch wie können Unternehmen ihre Schwachstellen beim Thema Steuern aufdecken? Wie lässt sich herausfinden, in welchen Bereichen etwas schief läuft? Abhilfe kann ein Internes Kontrollsystem für Steuern (Steuer-IKS) schaffen. Es knüpft ein Netz zwischen den von steuerrechtlichen Fragen betroffenen Abteilungen, spürt Risiken auf, legt Fehler offen und beseitigt sie. Meistens geschieht das mit Hilfe moderner Software.
Ein Steuer-IKS ist schon deshalb notwendig, weil der Dschungel verschiedener Steuerpflichten auch für Fachkundige kaum noch zu durchdringen ist. Schätzungen zufolge gibt ein deutsches Unternehmen jedes Jahr im Schnitt mehr als 30 steuerlich relevante Erklärungen ab, die von der Körperschaftsteuer über die Umsatzsteuer bis zur Grundsteuer reichen. Die dafür notwendigen Daten werden von den Geschäftsbereichen an die Finanz-, Anlagen- und Lohnbuchhaltung weitergegeben und bilden die Grundlage für die Steuererklärungen. In großen Unternehmen gibt es hunderte Wege, auf denen steuerlich relevante Informationen ihre Empfänger erreichen könnten. Das Steuer-IKS muss alle diese Pfade im Blick behalten, sie prüfen und eingreifen, wenn etwas nicht so läuft wie geplant.
Das ist schon allein deshalb nötig, weil sich das Steuerstrafrecht in den vergangenen Jahren erheblich verschärft hat. Ein Meilenstein war das Schwarzgeldbekämpfungsgesetz von 2011. Es wurde auf den Weg gebracht, nachdem Datenträger über nicht versteuerte Vermögen im Ausland in die Hand deutscher Finanzbehörden gelangt waren. Die Öffentlichkeit war empört. Folge: Der Gesetzgeber verschärfte die Regeln.
Heute ist es nicht mehr so einfach wie früher, Fehler in Steuererklärungen über eine sog. einfache Berichtigung oder eine Selbstanzeige aus der Welt zu schaffen. Selbst eine nachträglich aus freien Stücken korrigierte Steuererklärung wird kritisch geprüft und kann bei der Straf- oder Bußgeldsachenstelle landen. Für die betroffenen Unternehmen bedeutet das sehr viel Arbeit, die teuer ist, nervenaufreibend und die Kosten für ein Steuer-IKS rechtfertigen kann.
Ernst wird es für den Leiter der Steuerabteilung oder den Finanzvorstand besonders dann, wenn ihnen Vorsatz oder Leichtfertigkeit nachgewiesen werden kann. Das ist der Fall, wenn sie den Eindruck erwecken, es sei ihnen egal, ob die zuständigen Mitarbeiter ihre Steuererklärungen gewissenhaft bearbeiten. Doch dieser Eindruck lässt sich vermeiden.
Ein Steuer-IKS gilt beim Finanzamt als Hinweis darauf, dass ein Unternehmen seine Steuerpflichten ernst nimmt. Mit anderen Worten: Wer ein für das Unternehmen angemessenes Kontrollumfeld für Steuern dokumentiert und nachweisen kann, dass sein Unternehmen alle steuerlichen Belange systematisch überwacht, hat von vornherein bessere Karten, wenn tatsächlich ein Fehler unterläuft. Das Bundesfinanzministerium hat diesen Grundsatz im Mai 2016 in einem Anwendungserlass für die Finanzämter festgeschrieben.
Steuerliche Kontrollsysteme sind immer Teil einer umfassenden Compliance-Struktur von Unternehmen. Diese soll sicherstellen, dass alle Regeln eingehalten werden. Sie wird auch als Compliance-Management-System (CMS) bezeichnet. Bei einer Ausrichtung auf steuerliche Fragen spricht man von Tax CMS.
Wie das richtige Steuer-IKS aussieht, hängt vom Unternehmen ab. Lösungen müssen maßgeschneidert sein und den Anforderungen der Branche entsprechen. Bei einem nur im Inland arbeitenden Lebensmitteldiscounter sieht es anders aus als bei einem Industrieausrüster, der seine Maschinen nach Asien exportiert. Für alle Modelle gilt jedoch, dass die Kontrolle von steuerlichen Belangen alle Ebenen des Unternehmens durchdringt.
Das fängt bei der Unternehmenskultur an. Börsennotierte Konzerne bekennen sich zum Beispiel öffentlich zum Prinzip der Steuerehrlichkeit. Sie verpflichten sich, einen aktiven Informationsaustausch sicherzustellen, der verhindern soll, dass Steuern oder Abgaben unrechtmäßig gekürzt werden. Diese Grundsätze veröffentlichen sie in einem Verhaltenskodex. Auf diese Weise schaffen sie eine Unternehmenskultur, die jedem Mitarbeiter klar macht, dass Gesetzesverstöße nicht geduldet werden – was wiederum eine Voraussetzung dafür ist, dass interne Kontrollen mit dem nötigen Ernst erfolgen.
Im Zentrum steht dabei die Einsicht aller Beschäftigten. Denn innerbetriebliche Kontrolle soll nicht zum Überwachungswahn mutieren, Eigeninitiative nicht durch starre Regeln lähmen oder unangemessene Kosten verursachen. Stattdessen müssen Beschäftigte auch den Mut haben, legale steuerliche Spielräume zu nutzen und dadurch Werte für das Unternehmen zu schaffen. Ein möglichst schlankes internes Kontrollsystem hilft dabei.
Die Ziele eines Steuer-IKS hängen vom Unternehmen ab und können in einer eigenen Richtlinie ausformuliert werden. Die darin enthaltenen Grundsätze gelten für das gesamte Haus, sind aber besonders wichtig für eine moderne Steuerabteilung. In der Richtlinie kann der Vorstand zum Beispiel verfügen, welche Aufgaben er an die Steuerabteilung delegiert. Damit macht er deutlich, dass er die Verantwortung trägt, die tägliche Arbeit aber von versierten Fachleuten erledigen lässt. Weiterhin kann die Steuerabteilung verpflichtet werden, sich regelmäßig mit Vertretern anderer Bereiche zu treffen. Auf diesen Zusammenkünften besprechen die Teilnehmer, wo steuerliche Risiken lauern und wie man sie verhindert.
Das ist wichtig, wenn ein Unternehmen neue Märkte erschließt, neue Vertriebswege beschreitet oder neue Produkte verkauft. Auch Umstrukturierungen eines Konzerns haben oft Einfluss auf die Besteuerung. Zu den Pflichten der Steuerabteilung gehört es außerdem, neu beschlossene Gesetze auszuwerten und andere Unternehmensteile von den gewonnenen Erkenntnissen zu berichten. Auch diese Aufgabe sollte eindeutig festgeschrieben werden, um zu zeigen, wer für was verantwortlich ist.
Einmal beschlossen und dann ab in die Schublade – das darf mit der Steuer-Richtlinie nicht passieren. Sie muss regelmäßig aktualisiert werden, am besten durch eine Führungskraft, die dafür verantwortlich ist. Die Unternehmenswelt ist voll von veralteten Regelwerken, die unbrauchbar sind, weil sie aktuellen Gesetzen nicht mehr entsprechen. Solche Richtlinien verunsichern ihre Anwender, denn sie müssen interpretiert werden und geben keine klaren Verantwortlichkeiten mehr vor. Was besonders wichtig ist: Die Steuerrichtlinie muss im gesamten Unternehmen bekannt gemacht werden – und zwar verständlich. Sie sollte auch sagen, an wen beobachtete Regelverstöße berichtet werden.
Ein internes Kontrollsystem für Steuern muss erkennen, wo es Risiken für Regelverstöße gibt. Das fängt bei den Finanzdaten und Informationen aus dem betrieblichen Rechnungswesen an. Sie werden in vielen kleinen Teilschritten bearbeitet. Dieser Datenfluss muss ständig überwacht werden. Für die Überwachung ist die Steuerabteilung verantwortlich. Anschließend erfolgt die Integration in IT-Prozesse. Das Rechnungswesen kann beauftragt werden, zu prüfen, ob alle Vorgaben eingehalten werden. Mögliche Schwachstellen lassen sich so aufdecken.
Besonders absichern müssen sich Unternehmen bei der Umsatzsteuer, denn diese Vorgänge verfolgt das Finanzamt besonders aufmerksam. Der Grund ist einfach: Die dort bewegten Beträge sind sehr hoch, wodurch dem Fiskus bedeutende Summen entgehen können. Allein im Jahr 2016 lagen die Umsatzsteuer-Einnahmen des Bundes bei etwa 270 Milliarden Euro. Entsprechend motiviert sind Finanzbeamte und Betriebsprüfer, Fehlern in diesem Bereich auf die Spur zu kommen.
Die Einhaltung der gültigen Umsatzsteuer-Regeln kann für international tätige Konzerne eine Herausforderung sein. Werden Waren ins Ausland exportiert, wird je nach Herkunftsland Umsatzsteuer berechnet oder nicht. Auch unterschiedliche Sätze sind möglich. Selbst geschulte Experten treffen nicht immer eine Entscheidung, die vom Finanzamt akzeptiert wird. Abhilfe schaffen könnte ein IT-System, bei dem sich alle unterschiedlichen Vorgaben eingeben lassen. Das Programm bestimmt dann automatisch den richtigen Umsatzsteuersatz. Bei besonders wichtigen Geschäften wäre es auch möglich, das Vier-Augen-Prinzip vorzuschreiben. Ein Vorgang darf dabei nur starten, wenn er von einer anderen Person geprüft wurde. Auch diese Vorgehensweise ließe sich fest in der IT programmieren.
IT-gestützte Lösungen sind aus einem weiteren Grund wichtig für ein innerbetriebliches Kontrollsystem für Steuern. Denn egal ob Beleg, Geschäftsbrief, Testat oder Erklärung – alles was mit Steuern zu tun hat, muss lückenlos dokumentiert sein. Nur dann kann ein Unternehmen das Finanzamt davon überzeugen, dass seine Kontrollen einwandfrei funktionieren. Die IT muss deshalb in der Lage sein, alle Unterlagen in Realzeit zu erfassen und immer abrufbereit zu halten. Kein Bearbeitungsschritt darf verloren gehen. Auch die verantwortliche Person muss dokumentiert sein.
Eine lückenlose steuerliche Informationskette ist auch wichtig, um das Steuer-IKS ständig zu verbessern. Dafür müssen die Abläufe pausenlos kontrolliert werden. Das kann systematisch geschehen oder in Form von Stichproben. Die Ergebnisse würden sofort ausgewertet. Tauchen Fehler auf, müssen die Schwachstellen gesucht und beseitigt werden. Denn nur ein wirksames Kontrollsystem kann Fehler verhindern, Steuernachzahlungen vermeiden und den möglicherweise daraus folgenden Imageschaden für das Unternehmen verhindern.