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Energiewende: Power Purchase Agreements unter der Lupe

Durch die Energiewende gewinnen Power Purchase Agreements (PPAs), welche langfristige Stromlieferverträge darstellen und mitunter eine erhebliche Komplexität aufweisen, zunehmend an Bedeutung. Im Interview erklärt Niklas Polster, Manager im Bereich Audit Industry bei Deloitte, welche Vorteile PPAs bieten und worauf bei der der Bilanzierung nach IFRS und HGB zu achten ist.

Die Bundesregierung hat am 20.9.2019 ihr Klimaschutzprogramm 2030 beschlossen. Mit dem sukzessiven Auslaufen der EEG-Vergütung sind Erzeuger gezwungen, ihre Geschäftsmodelle zu überdenken. Welche alternativen Vermarktungsmodelle haben sich denn bis jetzt etabliert?

Polster: Der Betrieb der Anlagen für Erneuerbare Energien hängt nach Auslaufen der Förderung grundsätzlich von den Marktgegebenheiten ab. Ein Verkauf des produzierten Stroms zu Marktpreisen an der Börse ist für die Betreiber dabei mit dem Risiko von Preisschwankungen verbunden. Da die Betreiber vielfach eine Stromvermarktung zu stabilen Preisen anstreben, haben sich in der Praxis vor allem die langfristigen Stromlieferverträge – sogenannte Power Purchase Agreements – als Alternative etabliert. Aus Sicht der Erzeuger bietet ein PPA die Möglichkeit zur Finanzierung von Investitionen mit langfristiger Preis- und Umsatzsicherheit, während bei Verbrauchern eine Absicherung gegen die Volatilität der Strompreise im Vordergrund steht.

Ein Grund für das wachsende Interesse an PPAs hierzulande ist sicherlich der wachsende Bedarf von Industrieunternehmen an grünem Strom. 

PPAs sind insbesondere in Skandinavien, Großbritannien und den USA schon länger etabliert. Wieso gewinnt gerade dieses Modell jetzt zunehmend auch an Bedeutung in Deutschland?

Polster: Ein Grund für das wachsende Interesse hierzulande ist sicherlich der wachsende Bedarf von Industrieunternehmen an grünem Strom. Dieser wird durch die seit längerem sinkenden Kosten von PPA gefördert. Mit den entsprechenden, auch als Corporate PPA bezeichneten Verträgen, beziehen Industrieunternehmen große Kontingente an grünem Strom und sichern sich langfristig gegen die Volatilität der Strompreise ab. Ein bedeutsames Zusatzelement stellen zudem die Herkunftsnachweise über die erneuerbare Erzeugung (guarantees of origin) dar, da sie einen wichtigen Bestandteil des ökologischen Images darstellen.

Welche Gestaltungsformen für Power Purchase Agreements gibt es?

Polster: Es lassen sich zwei grundlegende Konstellationen unterscheiden, nämlich physische und virtuelle Verträge, wobei man die physischen PPAs noch in on-site und off-site (oder sleeved) unterteilen kann.
Bei den physischen PPAs erfolgt die tatsächliche Stromlieferung vom Anlagenbetreiber, beispielsweise in Form eines Wind- oder Solarparks, an den Abnehmer – den angesprochenen Industrieunternehmen. Entweder läuft die Stromlieferung über eine Direktleitung ohne Nutzung des öffentlichen Netzes (on-site) oder bilanziell über das Netz der allgemeinen Versorgung (off-site).
Im Gegensatz dazu erfolgt bei den virtuellen PPAs keine tatsächliche Stromlieferung. Vielmehr kaufen bzw. verkaufen die beiden Vertragsparteien die vertraglich vereinbarten Strommengen an den Spotmärkten, also an der Börse, wobei ein Ausgleich der Differenz zwischen dem individuell vertraglich vereinbarten Strompreis und dem jeweils erzielten Marktpreis zwischen den Parteien erfolgt.

Das heißt, PPAs sind sehr flexibel und in jede Richtung gestaltbar…

Polster: Genau. Da die Verträge bilateral 'over-the-counter' abgeschlossen werden, können die Modalitäten zu Laufzeit, Volumen und Preismechanismus individuell vereinbart werden. Neben einer Preisfixierung über die gesamte Laufzeit bestehen Möglichkeiten einer Indexierung an einen Marktpreis oder die Berücksichtigung von Floor und Cap-Preisen, wobei die Strompreise nach unten bzw. oben begrenzt sind. Hinsichtlich des vertraglich vereinbarten Volumens kann einerseits die vollständige Abnahme des erzeugten Stroms durch den Verbraucher vereinbart werden, was bei diesem zu Über- oder Unterdeckungen im Vergleich zum benötigten Strom führen kann. Alternativ kann eine konstante Menge vereinbart werden, woraus sich für den Erzeuger die Pflicht ergibt, auch bei fehlender Stromverfügbarkeit die Lieferung sicherzustellen.

Das alles klingt aber nach einer Herausforderung für die Buchhaltung. Was sind die Voraussetzungen für eine adäquate Bilanzierung von PPAs? 

Polster: Aufgrund der Vielzahl an Gestaltungsmöglichkeiten der PPAs und unterschiedlichen Gegebenheiten kann die konkrete Bilanzierung tatsächlich stark variieren. Dabei kann sich der Anwendungsbereich zudem erheblich zwischen Erzeuger, Energiehändler und Verbraucher unterscheiden. Grundsätzlich sollte daher eine genaue Analyse des Vertrags und des zugrunde liegenden Geschäftsmodells erfolgen.

Wie wird die Abgrenzung des Anwendungsbereichs der IFRS vorgenommen?

Polster: Zur Abgrenzung ist ein Entscheidungsbaum zu empfehlen, der die einzelnen Anwendungsbereiche untersucht. Im ersten Schritt ist der Vertrag auf Vorliegen eines Leasingverhältnisses im Sinne des IFRS 16 zu untersuchen. Im zweiten Schritt erfolgt die Analyse, inwieweit ein PPA für die jeweilige Vertragspartei wie ein Finanzinstrument gemäß IFRS 9 zu behandeln sein könnte und somit eine Fair Value Bewertung zum Ansatz kommt.
Dies ist sowohl aus Sicht des Käufers als auch des Verkäufers zu beurteilen und könnte insbesondere für Energiehändler und Verbraucher relevant sein. Findet IFRS 9 keine Anwendung, ist der Vertrag gemäß dem dritten Schritt im Entscheidungsbaum als schwebendes Geschäft unter Anwendung von IAS 37 und IFRS 15 zu behandeln. Diese – oftmals von Erzeugern und Industrieunternehmen präferierte – Form der Bilanzierung führt dazu, dass Marktwertänderungen nicht erfasst werden, außer es liegt ein drohender Verlust vor.

Weshalb kommt im Rahmen der Beurteilung der Anwendung von IFRS 9 der sogenannten own use exception eine so große Bedeutung zu?

Polster: Ein PPA wird zumeist die Eigenschaften eines Derivats erfüllen, weshalb eine Ausnahme von der komplexen Fair Value Bewertung des IFRS 9 nur vorliegt, wenn der Vertrag ausschließlich für den erwarteten Einkaufs-, Verkaufs- oder Nutzungsbedarf der Vertragspartei abgeschlossen wurde (own use exception). Diese Voraussetzungen der own use exception sind oftmals intuitiv erfüllt; auf den zweiten Blick können aber beispielsweise bei Industrieunternehmen als PPA-Abnehmer bereits Spot-Verkäufe von überschüssigen Strommengen zu einer Abkehr dieser Prämisse führen, da nicht die gesamte Menge an Strom für den eigenen Bedarf verbraucht wurde. Im Vordergrund der Beurteilung stehen daher insbesondere die Vertragsanalyse im Hinblick auf des Verhältnisses zwischen dem vertraglich vereinbarten und dem physisch gelieferten Volumen sowie geschriebenen Optionen oder eingebetteten Derivaten. Zudem ist die own use exception bei Vorliegen von Handelsaktivitäten ausgeschlossen. Liegt also keine own use exception vor, hat das bilanzierende Unternehmen den Vertrag zum Fair Value anzusetzen.

Und was versteht man unter dem Fair Value eines Power Purchase Agreements?

Polster: Als Fair Value, oder beizulegender Zeitwert, wird der Wert definiert, der in einem geordneten Geschäftsvorfall zwischen Marktteilnehmern für den Verkauf eines Vermögenswerts vereinnahmt würde. Beim erstmaligen Ansatz entspricht daher der beizulegende Zeitwert meist dem Transaktionspreis. Erfolgt bei einem PPA keine Anfangsauszahlung ist der Transaktionspreis bei rational agierenden Vertragsparteien zunächst 0 Euro. Das bilanzierende Unternehmen hat gem. IFRS 9 jedoch zu untersuchen, ob der beizulegende Zeitwert vom Transaktionspreis abweicht. Weicht der ermittelte Wert vom Transaktionspreis ab, entsteht ein Unterschiedsbetrag, der nach IFRS 9 als day one gain or loss bezeichnet wird.

Für die bilanzielle Abbildung dieses day one gain or loss besteht ja ein Wahlrecht zwischen der Korrektur des Werts des PPA und der separaten Erfassung eines Vermögenswerts. Welche Möglichkeit empfehlen Sie da?

Polster: Zunächst ist zu bedenken, dass in einem geregelten Markt und unter Beachtung der wirtschaftlichen Interessen der Vertragsparteien kein day one gain or loss bestehen sollte; ein bestehender Unterschiedsbetrag somit weitere Vertragsbestandteile, Risiken oder Chancen abbilden sollte, die das Unternehmen nicht im Rahmen der Bewertung oder im Rahmen des Transaktionspreises berücksichtigen konnte. Aufgrund des langfristigen und komplexen Charakters der PPAs ergibt sich aber, dass eine Abgrenzung des etwaigen Unterschiedsbetrags erforderlich ist. Dabei empfehlen wir, den ermittelten beizulegenden Zeitwert um den Unterschiedsbetrag zu korrigieren, statt diesen separat als Vermögenswert oder Verbindlichkeit zu erfassen. Dieser Ansatz berücksichtigt, dass ein Vertrag grundsätzlich als eine Bilanzierungseinheit (unit of account) zu beurteilen ist und der Unterschiedsbetrag nicht von diesem separiert werden kann.

Wie funktioniert die Folgebewertung von PPAs im Anwendungsbereich von IFRS 9?

Polster: Grundsätzlich erfolgt die Folgebewertung von PPA erfolgswirksam zum beizulegenden Zeitwert. Dabei kommt der Analyse von Änderungen des beizulegenden Zeitwerts eine erhebliche Bedeutung zu. Dieser kann sich vornehmlich aus Marktpreisveränderungen, aber auch besseren Erkenntnissen im Rahmen der Inputfaktoren ergeben, wobei die Grundsätze der Stetigkeit beachtet werden müssen. Auch der Unterschiedsbetrag ist in der Folgezeit aufzulösen.

Erklären Sie uns noch kurz, welche Auswirkungen die IFRS IC-Entscheidung im März 2019 hatte?

Polster: Der IASB hat in der Sitzung beurteilt, dass es weder erforderlich noch zulässig sei, die Bilanzierung eines Vertrags als Derivat nur deshalb neu zu beurteilen oder anzupassen, weil der Vertrag physisch erfüllt wird. Infolge dieser Entscheidung haben sich zusätzliche Diskussionen ergeben, wie Verträge, die als Derivat zu erfassen sind, mit der üblichen Bilanzierung von Warenkäufen und -verkäufen im Rahmen der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit interagieren. Dabei können die Umsatzerlöse und Umsatzkosten bei Erfüllung durch tatsächliche Lieferung brutto erfasst oder alternativ lediglich der Nettogewinn aus der Transaktion erfasst werden. Die Bruttodarstellung könnte u.E. insbesondere für Verbraucher interessant sein, um eine bessere Darstellung der Ertragslage sicherzustellen.

Schauen wir noch einmal zur Bilanzierung: Wie sind PPAs im handelsrechtlichen Jahresabschluss zu bilanzieren?

Polster: Bei Anlagenbetreibern und Verbrauchern sind PPAs bis zum Zeitpunkt der Lieferung meist als schwebendes Geschäft über den Vermögensgegenstand Strom zu klassifizieren. Nach handelsrechtlichen Grundsätzen sind PPAs daher bis zur Erfüllung grundsätzlich als schwebende Geschäfte unter Beachtung des Realisations- und Imparitätsprinzips einzeln nach § 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB zu behandeln. Das Imparitätsprinzip verlangt, dass drohende Verluste nach § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB durch eine Rückstellungsbildung antizipiert werden. Andererseits dürfen unrealisierte Gewinne infolge eines positiven Marktwerts des PPA nicht angesetzt werden.

Gibt es dazu Alternativen?

Polster: Bei Energieversorgungsunternehmen stehen den Energieabsatzverträgen regelmäßig komplexere Beschaffungsverträge gegenüber, was eine Zuordnung der einzelnen Verträge erschwert. Als Ausnahme zum Einzelbewertungsgrundsatz besteht für Energieversorgungsunternehmen daher die Möglichkeit, statt des einzelnen Vertrags ein Vertragsportfolio nach RS ÖFA 3 zu bewerten.Bei Energiehändlern ergibt sich unter bestimmten Voraussetzungen aus § 254 HGB auch für diese Unternehmen eine alternative Möglichkeit zur Einzelbewertung – die Bildung von Bewertungseinheiten, was dem Hedge-Accounting nach IFRS nahekommt.

Zu guter Letzt noch ein Ausblick: Glauben Sie, dass Power Purchase Agreements eine größere Bedeutung im Rahmen der weiteren Energiewende einnehmen werden?

Polster: Davon bin ich überzeugt. Neben dem klaren Signal zum Ausbau erneuerbarer Energien aus der Politik steigt nun auch der Bedarf an grünem Strom in der Industrie. Dies ist auch bedingt durch sinkende Kosten der Power Purchase Agreements, insbesondere bei Unternehmen mit hohem Stromverbrauch. Zudem bieten die Preis- und Volumenmechanismen langfristige Planungssicherheit. Das Thema bleibt meiner Meinung nach auch im Hinblick auf den zukünftigen Umgang mit den Herkunftsnachweisen spannend. Die Herausforderungen ergeben sich aufgrund fehlender Erfahrungswerte und dem Umgang mit der Komplexität – gerade im Hinblick auf die Bilanzierung.

Das Interview führte Viola C. Didier, RES JURA Redaktionsbüro

 

Der komplette Fachbeitrag erschien in DER BETRIEB, Ausgabe 21/2020, die Sie hier erwerben können.

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