Das Urteil des BGH vom 18.09.2024 (IV ZR 436/22) beinhaltet diverse für Pensionskassen und Lebensversicherer – und damit auch für Direktversicherungen – relevante Klarstellungen sowie eine ausführliche Darlegung zu Rückkaufswerten bei Frühstorno:
Im weiteren Verlauf dieses Artikels beschäftigen wir uns ausschließlich mit der Handhabung von Abschluss- und Vertriebskosten innerhalb der ersten fünf Vertragsjahre und dem daraus resultierenden Rückkaufswert. Im Wege des sogenannten Zillmerverfahrens können bei der Ermittlung des Rückkaufswertes einmalige und laufende Abschluss- und Vertriebskosten in Ansatz gebracht werden – vgl. § 169 Abs. 3 und 4 VVG, der seit der VVG-Reform 2008 Anforderungen an die Ermittlung des Rückkaufswerts formuliert.
Das BGH definiert in seinem Urteil mit Blick auf § 169 VVG Mindestrückkaufswerte bei Frühstorni von Verträgen, die eine Beitragszahlungsdauer von fünf Jahren oder mehr aufweisen. Unter anderem führt der BGH aus:
„Bei einer Kündigung des Versicherungsverhältnisses ist der Rückkaufswert nach § 169 Abs. 3 Satz 1 VVG mindestens der Betrag des Deckungskapitals, das sich bei gleichmäßiger Verteilung der Abschluss- und Vertriebskosten auf die ersten fünf Vertragsjahre ergibt. Hierbei ist der Höchstzillmersatz gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 DeckRV zu beachten. Das hat zur Folge, dass der Zillmersatz 25 Promille der Summe aller Prämien nicht überschreiten darf.“
Damit sieht der BGH bei Frühstorni innerhalb der ersten fünf Vertragsjahre für Verträge mit einer Beitragszahlungsdauer von mindestens fünf Jahren einen besonderen Schutzbedarf. Abschluss- und Vertriebskosten dürfen bei der Ermittlung des Rückkaufswertes in diesem Zeitraum danach maximal in Höhe des bei Vertragsschluss geltenden Höchstzillmersatzes abgezogen werden. Diese Mindestrückkaufswerte wirken sich nach der Rechnungslegungsverordnung auf die Höhe der zu bildenden Deckungsrückstellung aus: Sie muss mindestens in Höhe der wie vorstehend beschriebenen Rückkaufswerte gebildet werden.
Im Einzelnen ist festzuhalten:
Für Neuabschlüsse seit dem BGH-Urteil ist das Urteil anzuwenden. Das bedeutet, dass für diese Neuabschlüsse die vorgenannte Begrenzung der bei der Rückkaufswertermittlung anzusetzenden Abschluss- und Vertriebskosten – frontlastiger als auch übriger – greift. Durch die Vorschrift in § 25 RechVersV ist damit auch die Deckungsrückstellung mindestens in entsprechender Höhe zu bilden.
Gleiches ist auch für diejenigen beitragspflichtigen Verträge anzunehmen, die sich noch innerhalb der ersten fünf Vertragsjahre befinden.
Ob bei Verträgen, die sich innerhalb der ersten fünf Vertragsjahre befinden und schon beitragsfrei gestellt sind, mit Blick auf die weitere Beteiligung an den Überschüssen das oben angesprochene Schutzbedürfnis gilt oder nicht, ist höchstrichterlich bislang nicht entschieden. Zwar sieht das IDW für Lebensversicherungsverträge, die sich innerhalb der ersten fünf Vertragsjahre befinden und beitragsfrei gestellt sind, eine Nachreservierung nicht als zwingend an, fordert aber von den Unternehmen die Vorlage einer diesbezüglichen Einschätzung.
Ebenfalls höchstrichterlich bislang nicht behandelt ist, ob es dem Grundsatz der Gleichbehandlung entspricht, dass – plakativ formuliert – ein zum 60. Vertragsmonat beitragsfrei gestellter Vertrag bessergestellt sein kann – also einen höheren Rückkaufswert aufweist – als ein im 61. Vertragsmonat beitragsfrei gestellter.
Hinsichtlich Dynamiken, die zu Vertragsbeginn schon vereinbart wurden, ist davon auszugehen, dass für diese innerhalb der ersten fünf Vertragsjahre ebenfalls die Regelung zu Mindestrückkaufswerten gilt. Für später in den Vertrag eingeschlossene Dynamiken wird angenommen, dass diese nicht dem Gedanken des besonderen Schutzbedürfnisses unterfallen. Wird eine Erhöhung einer Dynamik vom Unternehmen jedoch als Neuzugang berücksichtigt, ist nach Sicht des IDW für jede Tranche die Begrenzung der in die Rückkaufswertermittlung einfließenden Abschluss- und Vertriebskosten durch den Höchstzillmersatz zu beachten.
Schließlich sind noch die bereits ausgezahlten Verträge, die dem § 169 VVG unterfallen, zu betrachten. Typischerweise dürften die seinerzeit ausgekehrten Rückkaufswerte zu gering ausgefallen sein. Hier greifen die Verjährungsfristen nach BGB. Eine proaktive Nachregulierung wird vom IDW nicht gefordert. Gleichwohl sieht es das Erfordernis einer adäquaten Berücksichtigung des Risikos innerhalb der Rückstellung für noch nicht abgewickelte Versicherungsfälle.
Eine Stellungnahme der BaFin war bei Redaktionsschluss noch nicht bekannt.