Posted: 05 Oct. 2023 5 Lesezeit

Die Rolle von CBAM in der europäischen Klimapolitik und die Kosteneffekte auf Importe: zwei Szenarien

Die EU setzt mit der Wachstumsstrategie Green Deal und dem Maßnahmenbündel Fit-for-55 eine ehrgeizige Klimapolitik um. Das Fit-for-55-Paket enthält zwei Maßnahmen, die für die Dekarbonisierung der energie-intensiven Industrie besonders relevant sind: die schrittweise Abschaffung der kostenlosen Zertifikate im Rahmen des europäischen Emissionshandelssystems (EU-EHS) bis 2034 und, analog, ein neuer CO2-Preis auf importierte energie-intensive Erzeugnisse (Carbon Border Adjustment Mechanism, CBAM). Das CBAM zielt darauf ab, Carbon Leakage zu verhindern; also die Verlagerung der Produktion (und damit der CO2-Emissionen) in Länder ohne oder mit geringeren CO2-Preisen. Durch CBAM soll der preisliche Wettbewerbsnachteil für europäische Unternehmen ausgeglichen werden, der durch das EU-EHS entsteht. 

CBAM betrifft Stahl- und Eisenwaren, Aluminium, Zement, Düngemittel, Wasserstoff und Strom. CBAM wird schrittweise bis 2034 eingeführt, Startdatum war am 1. Oktober 2023. Ab diesem Zeitpunkt müssen europäische Unternehmen vierteljährlich über Mengen und CO2-Intensitäten der betroffenen Importe berichten. Ab 2026 beginnt die Übergangsphase des CBAM; erstmalig müssen Importeure die CO2-Emissionen der Einfuhren durch den Kauf von CBAM-Zertifikaten ausgleichen. Im ersten Jahr werden die Kosten um 97,5 Prozent ermäßigt; bis zum Ende der Übergansphase sinkt der Ermäßigungssatz (analog zur stufenweisen Abschaffung der kostenlosen Zertifikate im EU-EHS), so dass ab 2034 die Kosten für ein CBAM-Zertifikat dem wöchentlichen Durchschnittspreis eines EU-EHS-Zertifikats entsprechen.

Im Folgenden wird analysiert, welche Erzeugnisse, Industrien und Länder vom CBAM am meisten betroffen sind. Wir haben außerdem zwei Szenarien berechnet, die zeigen, welche Kosten CBAM nach seiner vollständigen Einführung für die Unternehmen mit sich bringen könnte. 

CBAM betrifft Importe in Höhe von 131 Milliarden Euro

 

CBAM betrifft Importe, die sich im Jahr 2022 auf eine Größenordnung von 131 Mrd. Euro beliefen. Es handelt sich vor allem um energie-intensive Grundstoffe und -erzeugnisse. Für diese besteht aus EU-Sicht ein Risiko der Verlagerung der Produktion in andere Länder, die keine ähnliche CO2-Bepreisung haben wie die EU. 

Mengenmäßig betrifft CBAM vor allem Eisen- und Stahlprodukte (Abbildung 1)1.  Wichtigste Handelspartner in diesem Bereich sind Kanada (8,9 Mio. t), die Ukraine (7,6 Mio. t) und die Türkei (6,6 Mio. t)2.  Düngemittelerzeugnisse werden vor allem aus Ägypten (2,5 Mio. t), Algerien (2,3 Mio. t) und Trinidad & Tobago (1,2 Mio. t) in die EU eingeführt. Die Türkei ist größter Exporteur von Zementwaren (4,6 Mio. t), gefolgt von Algerien (1,7 Mio. t) und der Ukraine (1,4 Mio. t). CBAM-pflichtige Aluminiumprodukte werden vorrangig aus China (0,8 Mio. t), der Türkei (0,8 Mio. t) und den Vereinigten Arabischen Emiraten (0,7 Mio. t) eingeführt.

Abbildung 1: Importe in die EU von Waren und Ländern, die unter den Anwendungsbereich des CBAM fallen (nicht berücksichtigt: Strom und Wasserstoff), 2022

Quelle: Eurostat Comext

Weitere Einfuhren dieser Erzeugnisse stammten aus Norwegen, der Schweiz, sowie Liechtenstein und Island (5,6 Mio. t bzw. 27 Mrd. Euro). Alle vier Länder sind allerdings von der Verpflichtung zum Kauf von CBAM-Zertifikaten befreit, da sie bereits jetzt unter das EU-EHS fallen, bzw. ein vollständig mit dem EU-EHS verknüpftes CO2-Preissystem vorhanden ist.

Strom und Wasserstoff wurden ebenfalls in die Verordnung aufgenommen – erstere wegen der hohen Relevanz der sektoralen Treibhausgasemissionen. So ist der Stromsektor für 30 Prozent der gesamten Emissionen der Union verantwortlich; allerdings sind die Einfuhren mit 39 TWh3 eher niedrig (1,6 Prozent des gesamten Stromverbrauchs der EU im Jahr 2022)4.

Die Verordnung könnte in Zukunft auf weitere Sektoren ausgeweitet werden, die dem Risiko von Carbon Leakage ausgesetzt sind5, wie z.B. Raffinerieprodukte und chemische organische Erzeugnisse, die aktuell auf Grund von Schwierigkeiten der Messung von Emissionen von der Verordnung ausgenommen sind.

 

Die CBAM-Kosten dürften mehrere Milliarden Euro pro Jahr betragen

 

Ab 2026 müssen Unternehmen erstmals CBAM-Zertifikate kaufen, um CO2-Emissionen ihrer Importe auszugleichen. Die Berechnungsgrundlage setzt beim CO2-Gehalt der importierten Waren an, der sich je nach Produktionsprozess und Strommix erheblich unterscheidet. Allerdings werden Emissionsdaten heute noch unzureichend erhoben; auch fehlt den Unternehmen oft noch die notwendige Transparenz über die Herkunft der Erzeugnisse.

Für die gesamte Wirtschaft der EU berechnet Deloitte Economics jährliche CBAM-Kosten anhand von zwei Szenarien, um die möglichen Bandbreiten aufzeigen. Die Szenarien gehen von einer hypothetisch vollständigen Implementierung aus (für 2034 geplant) und beziehen sie auf aktuelle Import-Daten (2022). Wir schätzen unter diesen Annahmen, dass die direkten Kosten für Unternehmen zwischen 4,3 Mrd. Euro bis 8,6 Mrd. Euro liegen würden (Abbildung 2).6 Dies entspricht 3 bzw. 6 Prozent des Gesamtwerts aller CBAM-Importe.7   

Abbildung 2: Zusätzliche Kosten durch CBAM auf Einfuhren und basierend auf den Emissionsfaktoren der besten 10 Prozent (Szenario 1, links) und schlechtesten 10 Prozent (Szenario 2, rechts) der EU-EHS Anlagen; Annahme: CBAM-Zertifikatspreis 89€/tCO2

Quellen: Eurostat (2023)8, EC (2021)9, IEA10, Fertilizers Europe (2019)11, Ourworldindata (2023)12, Carbon Pricing Dashboard der World Bank (2023)13, Ember (2023)14, ICAP (2023)15, Carboncredits (2023)16

Die Bandbreite zwischen den Ergebnissen zeigt nicht nur die Unsicherheit bzgl. der zukünftigen Kosten, sondern verdeutlicht auch den Spielraum, den Unternehmen schon heute bei der Produktion bzw. dem Import CO2-armer bzw. -intensiver Erzeugnisse haben. 

Die direkten Emissionen, die während der Produktion der Waren entstehen, werden in Szenario 1 auf Grundlage der besten zehn Prozent der EU-EHS-Anlagen quantifiziert, Szenario 2 stützt sich auf die schlechtesten zehn Prozent der Anlagen, die im Rahmen der Benchmark-Analyse von der Europäischen Kommission erhoben wurden.10 Im Falle von Zement- und Düngemittelerzeugnissen werden zusätzlich indirekte Emissionen berücksichtigt, also Emissionen, die bei der Erzeugung des Stroms, der für die Herstellung der Produkte benötigt wird, entstehen.17 Hierfür werden tatsächliche CO2-Emissionsfaktoren des Länder-spezifischen Strommix zugrunde gelegt, in enger Anlehnung an die Verordnung. In Szenario 1 belaufen sich somit die gesamten Treibhausgasemissionen auf 55 Mio. t, in Szenario 2 auf 107 Mio. t. 

Die EU-Kommission verlangt die Verwendung tatsächlicher Emissionsdaten, berücksichtigt jedoch auch die limitierte Verfügbarkeit belastbarer Emissionsdaten auf Produkt- und Länderebene und wird deshalb Default-Emissionsfaktoren zur Verfügung stellen.18

 

Sinkende CBAM-Kosten im Zeitablauf sind absehbar  

 

Die zukünftigen CBAM-Kosten hängen von einer Reihe von Faktoren ab. Beispielsweise haben bereits 14 der wichtigsten Handelspartner CBAM-pflichtiger Waren ähnlich ambitionierte Klimaneutralitätsziele wie die EU, welche gemeinsam 41 Prozent der CBAM-Importe in die EU ausmachen.19 Um diese Ziele zu erreichen, müssten die Emissionen im Industriesektor erwartungsgemäß bis 2034 – wenn CBAM erstmals vollständig implementiert ist – reduziert werden. Handelspartner werden dann Waren anbieten können, die mit weniger CO2-Emissionen verbunden sind, als es der heutige Stand der Technik bzw. Verfügbarkeit grüner Inputs erlaubt. 

Weiterhin werden mögliche CO2-Preise nationaler Handelspartner bei der Berechnung der notwendigen CBAM-Zertifikate berücksichtigt. Somit könnten die aktuell vorhandenen – teilweise erheblichen – CO2-Preis-Unterschiede („CO2-Preis Spread“) zwischen dem EU-EHS und nationalen Preisen (falls vorhanden) abnehmen. Beispielsweise steigt der kanadische CO2-Preis bis 2030 von aktuell 45 Euro/tCO2 jährlich um knapp 11 Euro, womit bereits 2027 das aktuelle Preisniveau der EU-EHS-Zertifikate erreicht wäre. Waren aus Ländern mit hohen CO2-Preisen werden insgesamt mit geringen oder keinen Kosten durch CBAM belegt; diese Länder können die CO2-Kosten selbst abschöpfen (statt das Einnahmen an die EU über das CBAM generiert werden). Allerdings kritisieren Länder wie Brasilien oder Indien das CBAM auch dahingehend, dass es das Prinzip der „gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortung“ im globalen Kampf gegen den Klimawandel unzureichend berücksichtigt.20

 

Die Weichen sind in der EU auf klimaneutrale Produktion gestellt 

 

Bei der angelaufenen Dekarbonisierung der Industrie in der EU ist insbesondere auch die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber emissions-intensiver, günstigerer Produktion zu erhalten. Ein Beispiel dafür ist die Produktion von Stahl. 2021 wurden 71 Prozent der globalen Rohstahlproduktion über die Basic Oxygen Furnace (BOF) Route hergestellt, was entlang der Wertschöpfungskette im Durchschnitt 2,32 tCO2 pro Tonne Stahl freisetzte.21 Der Direktreduktionsprozess (Direct Reduced Iron, DRI) wird zukünftig im Rahmen der Dekarbonisierung der Stahlindustrie eine große Rolle spielen; fast alle großen europäischen Stahlhersteller haben diesbezüglich schon Pläne verkündet. Global liegt der durchschnittliche CO2-Fußabdruck von DRI aktuell noch bei 1,65 tCO2 pro Tonne Stahl, hat aber das Potential sich unter zunehmendem Einsatz von grünem Wasserstoff (als Ersatz für Erdgas) erheblich zu verringern.22

 

Ausblick

 

CBAM wird schrittweise Realität und wird Handel und Lieferketten verändern, auch wenn die Diskussion um WHO-Kompatibilität noch im Gange ist und die Messung von Emissionen noch nicht vollständig geklärt ist. 

Viele Unternehmen haben CBAM allerdings noch nicht auf dem Schirm. Laut einer kürzlich durchgeführten Deloitte Umfrage unter deutschen Unternehmen trifft dies auf 60 Prozent der befragten Unternehmen zu und nur knapp die Hälfte davon bereiten sich auf die Meldepflichten ab 1. Oktober vor. Angesichts der potenziell hohen Kosten für Unternehmen und der erforderlichen Neustrukturierung von Lieferketten sollten die Vorbereitungen deutlich priorisiert werden. Andererseits birgt CBAM ebenfalls große Potenziale für Geschäftsmodelle zur Dekarbonisierung des Industriesektors, der EU-weit bis spätestens 2050 klimaneutral produzieren muss. 

Die Grundlage zur Berechnung der betroffenen Importe ist Anhang I der Verordnung (EU) zur Schaffung eines CO2-Grenzausgleichssystems 2023/956, der die betroffenen Waren anhand ihrer Einreihung in die Kombinierte Nomenklatur (KN) listet. 

2 Vor dem Angriff von Russland auf die Ukraine im Februar 2022 war Russland der größte Importeur von CBAM-Waren insgesamt, sowie in den Warengruppen Eisen und Stahl und Düngemittel. Die seither beschlossenen Wirtschaftssanktionen der EU verbieten die Einfuhr von Waren aus Russland erheblich (Anhang XXI der VO (EU) Nr. 833/2014 enthält die Liste der zur Einfuhr verbotenen Waren nach KN-Code).

3 Zusätzliche nennenswerte Einfuhren gibt es aus der Schweiz (28 TWh) und Norwegen (18 TWh). Diese sind zwar noch nicht von der Verordnung ausgenommen, könnten jedoch im Rahmen einer Prüfung Eintrag in Anhang II finden, der Länder listet, die bzgl. Strom ausgenommen sind.

4 Eurostat (2023), Energy statistics - latest trends from monthly data, abgerufen am 02.10.2023

5 Die Erzeugnisse, für die ein Risiko der Verlagerung von CO2-Emissionen besteht, sind im Delegierten Beschluss (EU) 2019/708 gelistet. 

Berechnungsformel: 2022 Importe von Waren gelistet in Anhang I EU 2023/956 (t, kWh) x Emissionsfaktoren (CO2/t, CO2/kWh) x EU-EHS Preis (€/tCO2) - nationaler CO2 Preis (€/tCO2).
Annahmen CO2 Preise basierend auf 2023 Werten: EU-EHS Price: 89€/tCO2; Vereinigtes Königreich 79,03; Japan 1,84; Südafrika 8,28; Südkorea 5,01, Kanada 45,33, China 7,64, Ukraine 0,75, Kasachstan 0,92, Kolumbien & Chile 4,60, Indonesien 1,92, Norwegen & Schweiz 89,00 (integriert in EU-EHS).

7 Der Gesamtwert betrug 157 Mrd. Euro im Jahr 2022 und umfasst alle Importe von Stahl & Eisen, Aluminium, Zement, Wasserstoff und Strom, inklusive Importe aus Norwegen, Schweiz, Liechtenstein und Island, die gemäß Anhang I vom CBAM ausgenommen sind.  

8 Eurostat (2023), Eurostat Comext International Trade Datenbank, abgerufen am 07.09.2023

9 EC (2021), Update of benchmark values for the years 2021-2025 of phase 4 of the EU ETS, abgerufen am 07.09.2023

10 International Energy Agency – Cement Industry, abgerufen am 12.09.2023

11 Fertilizers Europe (2019), The carbon footprint of fertiliser production: Regional reference values, abgerufen am 07.09.2023

12 Our World in data (2023), Carbon intensity of electricity 2022, abgerufen am 12.09.2023

13 The World Bank (2023), The World Bank Carbon Pricing Dashboard, abgerufen am 12.09.2023

14 Ember (2023), Ember Carbon Price Tracker, abgerufen am 19.09.2023

15 International Carbon Action Partnership – Canada, Abgerufen am 28.09.2023

16 Carboncredits.com, Live carbon prices today, abgerufen am 19.09.2023

17 Indirekte Emissionen werden (noch) nicht für Eisen, Stahl und Aluminiumprodukte, sowie Wasserstoff, angelegt, da der europäischen Produktion aktuell hier durch Ausgleichszahlungen der Europäischen Union ebenfalls keine CO2-Kosten entstehen.  

18 Die Datengrundlage, anhand derer die default Werte abgeleitet werden, wurde vom Joint Research Center vorbereitet (siehe JRC (2023), Greenhouse gas emission intensities of the steel, fertilisers, aluminium and cement industries in the EU and its main trading partners, abgerufen am 04.10.2023. Die darin vorgestellten Emissionsintensitäten befinden sich im Vergleich mit den in unserer Analyse verwendeten EU-EHS Benchmark-Werten hauptsächlich im oberen - heißt emissionsintensivsten - Bereich und stützen damit die Aussage unseres zweiten Szenarios als ein Worst-Case Szenario, das eintrifft, wenn Importeure auf Default-Werte zurückgreifen oder/und CO2-intensive Produkte handeln.

19 Kanada, die Vereinigten Staaten, Südkorea, Japan, das Vereinigte Königreich, Kolumbien und Chile (gesetzlich verankert) sowie die Türkei, Brasilien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Vietnam, Tunesien, Malaysia und der Oman (enhalten in policy Dokumenten). (Quelle: Net Zero Tracker, abgerufen am 02.10.2023)

20 Euractiv (2021), Emerging economies share ‘grave concern’ over EU plans for a carbon border levy, abgerufen am 02.10. 2023

21 Worldsteel (2023), Our performance: Sustainability Indicators, abgerufen am 27.10.2023

22 Fraunhofer (2019), CO2-reduzierte Stahlproduktion durch elektrolysegestützte Direktreduktion, abgerufen am 02.10. 2023

Anprechpartner Research: 

Ines Österle

Manager | Economics Insights Sustainability

ioesterle@deloitte.de

 

Katrin Grashof

Analyst | Deloitte Sustainability & Climate GmbH

kgrashof@deloitte.de

 

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Dr. Alexander Börsch

Dr. Alexander Börsch

Chefökonom & Director Research

Alexander Boersch is chief economist and a director (research) at Deloitte Germany. In his research, he focuses on European and German economics, the development of the digital economy as well as on demographic and globalization trends.