Posted: 09 Dec. 2021 5 min Lesezeit

Konjunktur in der Eurozone 2022: Fünf Faktoren, die das Wachstum prägen werden

Die wirtschaftliche Entwicklung in der Eurozone verlief 2021 im Stop-and-Go Modus. Die flächendeckenden Lockdowns im ersten Quartal bremsten den Aufholprozess, der im Herbst 2020 begonnen hatte. Nach dem Ende der Lockdowns im zweiten Quartal nahm die Konjunktur schnell wieder Fahrt auf, wuchs kräftig im dritten und wird durch die vierte Welle aktuell wieder abgebremst. Dennoch kann die Eurozone 2021 nach dem tiefen Fall im Vorjahr ein beträchtliches Wachstum verzeichnen. Sie wächst voraussichtlich mit knapp fünf Prozent und kommt damit in absoluten Werten fast wieder auf das Vor-Corona-Niveau. Die Konjunkturentwicklung für das nächste Jahr dürfte von fünf Faktoren entscheidend geprägt werden.

 

#1: Die Unternehmensstimmung ist gut, verliert aber an Momentum

 

Der Deloitte European CFO Survey, für den im Oktober über 1.300 CFOs befragt wurden, zeigt, dass die Unternehmensstimmung nach wie vor im deutlich positiven Bereich ist; das heißt, dass erkennbar mehr Unternehmen ihre Geschäftsaussichten im Vergleich zu vor drei Monaten positiver als negativer bewerten. Allerdings sind es weniger als noch im Frühjahr. In einer Branchenperspektive ist aktuell die Automobilindustrie am negativsten gestimmt, am positivsten der Tourismus- und Reisesektor, deren Aussichten vom Ende der Lockdowns beflügelt wurden. Andere Stimmungsindikatoren wie der Einkaufsmanagerindex oder die ZEW-Konjunkturerwartungen, die im November durchgeführt wurden, bestätigen diese Tendenz.

Damit gehen die europäischen Unternehmen von der Grundtendenz her positiv ins neue Jahr, auch wenn im November in Form der Omikron-Variante des Coronavirus neue Risiken entstanden sind und unterbrochene Lieferketten nach wie vor die Produktion in der Industrie behindern. 

 

#2: Die Investitionsbereitschaft hat sich schnell erholt – vor allem digitale Investitionen steigen

 

In der ersten Phase der Krise ist die Investitionsbereitschaft der Unternehmen wegen der extremen Unsicherheit eingebrochen. Die Befürchtungen waren groß, dass dies zu einer dauerhaften konjunkturellen Abwärtsspirale beitragen würden. Immerhin waren die Investitionen seit der Finanzkrise das Sorgenkind der Konjunktur, und eine dauerhafte Wachstums- und Investitionsschwäche – die säkuläre Stagnation – war das beherrschende volkswirtschaftliche Thema. 

Der aktuelle CFO Survey zeigt allerdings, dass sich die Investitionsbereitschaft schnell erholt hat und weiterhin steigt. Ein wichtiger Faktor ist dabei sicherlich die überraschend schnell anziehende Nachfrage nach der unmittelbaren Krise, die viele Unternehmen an die Grenzen ihrer bestehenden Kapazitäten gebracht hat. Daten aus den USA legen nahe, dass Unternehmen vor allem in die Digitalisierung investieren. Die Investitionen in digitale Ausrüstung und Software liegen um 18 Prozent höher als vor der Krise, die sonstigen Investitionen liegen noch unter dem Vor-Krisen-Niveau. Ergebnisse aus dem deutschen CFO Survey legen nahe, dass dies auch auf dieser Seite des Atlantiks passiert. 80 Prozent der deutschen CFOs haben als Reaktion auf die Corona-Krise ihre digitalen Investitionen erhöht. Insofern dürfte die Investitionstätigkeit die Konjunktur im nächsten Jahr stützen, die höheren digitalen Investitionen könnten in einer mittelfristigen Perspektive die Produktivität deutlich erhöhen. 

#3: Die Krise hat die Konsumlaune nicht nachhaltig beschädigt

 

Während der ersten Corona-Wellen befürchteten viele Volkswirte, dass der Effekt auf die Konsumenten von Dauer ist. Die Annahme war, dass die Konsumenten wegen der hohen Unsicherheit grundsätzlich vorsichtiger werden, ihr Geld zusammenhalten, und der Konsum strukturell leiden wird. Allerdings gelang es in Europa, durch Maßnahmen wie das Kurzarbeitergeld, den Arbeitsmarkt und damit die Einkommen weitgehend stabil zu halten. Weil gleichzeitig die Möglichkeiten zum Geldausgeben beschränkt waren, stiegen die Ersparnisse. Der Überschuss der Ersparnisse über das normale Maß hinaus beträgt in der Eurozone nach Berechnungen von Deloitte Research 313 Milliarden Euro. In Deutschland liegt er bei 95 Milliarden Euro.

Gleichzeitig hat sich die Konsumbereitschaft nach dem Ende der Lockdowns sehr schnell erholt, die Krise scheint keine Narben im Konsumsektor verursacht zu haben. Diese beiden Faktoren zusammengenommen sprechen dafür, dass die Konsumenten in der Eurozone die Konjunktur weiterhin treiben werden. In den letzten Quartalen waren sie bereits die hauptsächlichen Treiber des Aufschwungs.

 

#4: Die Inflation dürfte erst einmal sinken, mittelfristig steigt der Inflationsdruck

 

Die Inflation erlebte 2021 ein weitgehend unerwartetes Comeback. Inflationsraten von fast fünf Prozent in der Eurozone, sechs Prozent in Deutschland und über sieben Prozent in den USA gab es seit Jahrzehnten nicht mehr. Die Kernfrage dabei ist, ob der Preisanstieg nur vorübergehend oder strukturell ist. Einige Faktoren sprechen zumindest für einen Rückgang der Inflation in 2022, wenn auch nicht unbedingt auf das niedrige Vorkrisen-Ausgangsniveau. Zu diesen Faktoren gehört, dass wegen der schweren Rezession in 2020 die Vergleichswerte für die Inflationsmessung außergewöhnlich gering waren, dass sich die Lieferketten im Laufe des Jahres 2022 langsam wieder erholen dürften, und dass sich auch die Container-Transportkosten und die Rohstoffpreise wieder normalisieren könnten.

Auch wenn der Rückgang eintritt, bleiben immer noch Faktoren, die mittelfristig für einen höheren Inflationsdruck sprechen. Die Energiepreise dürften wegen der politischen Ziele der CO2-Neutralität und der erforderlichen Transformation tendenziell eher steigen. Ein ähnliches Risiko entsteht durch eine mögliche Neuordnung der Lieferketten. Sollten sich Unternehmen tatsächlich in den nächsten Jahren deglobalisieren und die Lieferketten stärker regionalisieren, würden die Produktionskosten steigen und damit der Inflationsdruck. Zum wichtigsten Faktor dürften allerdings die Trends auf dem Arbeitsmarkt werden. Aufgrund des demografischen Wandels verlieren die Arbeitsmärkte der Eurozone nach Daten von Eurostat im laufenden Jahrzehnt pro Jahr zwischen 275.000 und einer Million potenzieller Erwerbstätiger im Alter zwischen 20 und 65 Jahren. Die nach der Corona-Krise akute Arbeitskräfte-Knappheit dürfte damit chronisch werden. Steigende Löhne und eine steigender Inflationsdruck wären die Folge.

 

#5: Ohne böse Überraschungen dürfte die Eurozone auch 2022 kräftig wachsen

 

Die Corona-Krise und die aktuelle vierte Welle in Europa, die die Länder in Zentraleuropa wie Deutschland, Niederlande, Belgien, Österreich, Polen und Tschechien sehr viel stärker trifft als die in Südeuropa, machen Konjunkturprognosen noch schwieriger als in normalen Zeiten. Wenn man allerdings davon ausgeht, dass die Corona-Krise im Frühjahr ausgestanden ist und sich die Unterbrechungen in den Lieferketten langsam normalisieren, sind die Aussichten aber durchaus positiv. Die Eurozone dürfte nur wenig schwächer als dieses Jahr und deutlich über ihren normalen Werten wachsen. Nach Schätzungen von Oxford Economics dürfte sie um vier Prozent zulegen.

Natürlich sind die Unsicherheiten groß. Die Inflationsentwicklung und die Zentralbankreaktionen darauf werden das Wachstum beeinflussen, genauso wie der Einfluss der vierten Welle auf Investitionen und Konjunkturausgaben. Allerdings hat sich die Wirtschaft in diesem Jahr durchaus resilient gegenüber diesen großen Unsicherheiten gezeigt, so dass Hoffnung besteht, dass sich die wirtschaftliche Erholung weiter fortsetzt.

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Dr. Alexander Börsch

Dr. Alexander Börsch

Chefökonom & Director Research

Alexander Boersch is chief economist and a director (research) at Deloitte Germany. In his research, he focuses on European and German economics, the development of the digital economy as well as on demographic and globalization trends.